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Kartoffeln statt Fussball

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Um eine drohende Hungersnot abzuwenden, stellt Friedrich Traugott Wahlen, der spätere Bundesrat (BGB/BE), am 15. November 1940 seinen Anbauplan vor – und dies ohne Wissen seiner Vorgesetzten. Wahlen ist Chef der Abteilung für landwirtschaftliche Produktion und Hauswirtschaft im Eidgenössischen Kriegsernährungsamt. Schon 1935, als die Nazis immer dreister wurden, hatte er mit der Ausarbeitung seines Plans begonnen.

Der Plan sieht vor, dass Fussballplätze, Parkanlagen, Gärten und brachliegendes Land zu Ackerland wird. So werden auf der Zürcher Sechseläutewiese plötzlich Kartoffeln angepflanzt, ebenfalls vor dem Bundeshaus in Bern. Schon Ende November 1940 wurden die ersten Gärten umgepflügt.

Kartoffelernte vor dem Berner Bundeshaus im Jahr 1944 (Foto: Keystone/Photopress-Archiv)
Kartoffelernte vor dem Berner Bundeshaus im Jahr 1944 (Foto: Keystone/Photopress-Archiv)

Die Anbaufläche sollte von 180'000 auf 500'000 Hektar erhöht werden. Dieses Ziel wird nicht ganz erreicht. Doch hungern muss die Schweiz nicht. Während der sechs Kriegsjahre müssen keine Kartoffeln, kein Gemüse und kein Obst importiert werden.

Mitglieder des Thuner Konsumvereins säubern am 31. Mai 1943 auf der Tschingelalp oberhalb des Thunersees ein Stück Land von Steinen, damit es bepflanzt werden kann. (Foto: Keystone/Photopress-Archiv)
Mitglieder des Thuner Konsumvereins säubern am 31. Mai 1943 auf der Tschingelalp oberhalb des Thunersees ein Stück Land von Steinen, damit es bepflanzt werden kann. (Foto: Keystone/Photopress-Archiv)

Die Produktion von Brot wird verdoppelt, die Kartoffelernte verdreifacht und die Gemüseproduktion vervierfacht. Der Selbstversorgungsgrad kann von 52 auf 70 Prozent gesteigert werden.

\"Anbauen, durchhalten\": Das Tram Nummer 7 am Zürcher Paradeplatz (Foto: Keystone/Photopress-Archiv)
"Anbauen, durchhalten": Das Tram Nummer 7 am Zürcher Paradeplatz (Foto: Keystone/Photopress-Archiv)

Die Anbauschlacht schützt die Schweizer und die aufgenommenen Flüchtlinge nicht nur vor Hunger: Laut dem Historischen Lexikon der Schweiz förderte der Plan „die gesellschaftliche Integration nachhaltig“. Er wurde „zum Symbol für die Volksgemeinschaft, den Widerstandswillen und die Selbstbehauptung der Schweiz“. Die Propaganda setzte den Wahlen-Plan – laut Historischem Lexikon „immer mit dem Kampf für Vaterland und Unabhängigkeit gleich und stellte damit das Anbauwerk auf die gleiche Stufe wie die militärische Landesverteidigung.“

Da die Sechseläutewiese nun ein Acker war, musste 1943 der Sechseläutenböögg umziehen. Der Scheiterhaufen wurde am See beim Hafendamm Enge aufgebaut - mit wenig Glück. Der brennende Holzstoss kippte ins Wasser - und der Böögg ging baden.

Aufbau des Bööggs auf dem Hafendamm Enge im Jahr 1943. Bald fällt er ins Wasser. (Foto: Keystone/Photopress-Archiv)
Aufbau des Bööggs auf dem Hafendamm Enge im Jahr 1943. Bald fällt er ins Wasser. (Foto: Keystone/Photopress-Archiv)

(J21)

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