Regierungspräsident Norman Gobbi, der seit seinen Jugendjahren der Lega dei ticinesi angehört, beruft sich gerne auf jenen Satz in der Bundesverfassung, wonach die Landesteile und die Sprachregionen in der Regierung angemessen vertreten sein sollen. Da seit Flavio Cottis Rücktritt Ende April 1999 niemand mehr aus der italienischen Schweiz im Bundesrat sitzt, hat Gobbis Argument grosses Gewicht. Als einer der drei von der SVP-Fraktion vorgeschlagenen Kandidaten – Gobbi ist seit kurzem auch der SVP beigetreten - könnte es sein, dass der 38Jährige Bundesrat wird.
Bundesverfassung für und gegen Gobbi
Es ist meiner Meinung nach unbestritten, dass wieder ein Tessiner in den Bundesrat gehört, doch ist Gobbi der Richtige? Ich glaube nicht. Zwar wird seine Kandidatur durch die Bundesverfassung gestärkt, aber gleichzeitig auch gebremst. Der Tessiner sagt, er stehe voll und ganz auf der SVP-Linie. Das bedeutet, dass er die Durchsetzungsinitiative für die Ausschaffung straffälliger Ausländer unterstützt, d.h. dass Ausländer auch für kleinere Vergehen ohne wenn und aber ausgeschafft werden müssten. Diese Bestimmung steht jedoch in Widerspruch zum Prinzip der Verhältnismässigkeit, das in der Verfassung verankert ist.
Noch weiterreichende Folgen hätte die SVP-Volksinitiative „Schweizer Recht anstatt Fremde Richter“, welche die Schweiz zwingen könnte, die Europäische Menschenrechtskonvention zu künden, was ein verheerendes Signal an Europa wäre. Auch die zwei andern SVP-Kandidaten unterscheiden sich in diesem Zusammenhang nicht von Gobbi. Sie sind deshalb im Prinzip ebenfalls nicht wählbar, solange die Bundesverfassung vorbehaltlos respektiert wird und Konkordanz nicht bloss ein leerer Begriff ist.
Wegen Gobbis „Jugendsünden“ sollte man dem Tessiner Kandidaten wohl keinen Strick drehen, obschon er damals bereits Grossrat war. Er hatte z.B. in Ambrì einen schwarzen Spieler mit rassistischen Ausdrücken bedacht – er wurde vom Eishockeyverband dafür gebüsst. Jetzt hört man solche Töne nicht mehr, denn der für Polizei, Justiz und Inneres zuständige Regierungsrat, muss sich auch mit der Integration der ausländischen Bevölkerung befassen.
Worte an die Öffentlichkeit, nicht an die Lega
An den jährlichen Informationstagen des kantonalen Integrationsdelegierten spricht jeweils Regierungsrat Gobbi einige schöne Worte, empfiehlt Respekt für andere Kulturen und die ausländische Bevölkerung. Das steht in krassem Widerspruch zu den Äusserungen von Parteikolleg Lorenzo Quadri und der Tonlage der von ihm geleiteten Lega-Sonntagszeitung „il Mattino della domenica“. In diesem Blatt werden Asylbewerber, Ausländer beschimpft, Italien verächtlich gemacht und der Bundesrat dumm hingestellt und verspottet.
Die vulgäre Sprache sowie die dauernden Verleumdungen und Beschimpfungen, von Personen, die mit der Lega nicht einverstanden sind, pflegt der Lega-Regierungsrat nicht mehr, doch die schönen Worte an die Ausländer wiederholt er vor seinen Freunden an Parteiversammlungen nicht. Denn gewählt wurde der vom verstorbenen Lega Gründer Giuliano Bignasca geförderte Gobbi nicht dank seinem als Regierungspräsident staatsmännischem Gehabe, sondern weil „Super-Norman“ bei seinen Leuten ein markiger Vollblut-Lega-Mann ist und im „Mattino“ entsprechend dargestellt wird. Dieser Widerspruch zwischen menschenverachtenden und absurden Lega-Forderungen und verantwortungsvoller Regierungstätigkeit ist typisch für alle in Exekutiven gewählten Lega-Politiker. Derart widersprüchliche Politiker gehören meiner Meinung nach nicht in den Bundesrat; auch nicht, obschon dadurch endlich wieder ein Tessiner in der Regierung Einsitz nehmen würde.
Schroff gegen den Bundesrat
Starke Vorwürfe an die Adresse des Bundesrats richte Gobbi auch als Tessiner Regierungspräsident im August in Locarno vor versammelten schweizerischen und ausländischen Diplomaten. Angesichts der schweren Probleme auf dem Arbeitsmarkt grollte Gobbi, der Bundesrat habe das Tessin bewusst aufgegeben und dem eigenen Schicksal überlassen. Als Tessiner Regierungsmitglied hat Gobbi Verachtung und Antipathie gegenüber Italien nur etwas gemildert. Während der schweizerisch-italienischen Verhandlungen über Steuerfragen, sagte er jedoch, es sei sinnlos weiter mit Italien zu verhandeln, was als Rückenschuss gegen Finanzministerin Eveline Widmer Schlumpf gedacht war.
Zudem verlangt er für Grenzgänger und Jahresaufenthalter, die im Tessin um eine Arbeitsbewilligung nachsuchen, einen Strafregisterauszug, obschon die Bundesbehörden Gobbi zu überzeugen versuchten, davon abzusehen. Eine Person, die dem Nachbarland derart negativ gegenübersteht, wie kann sie im Bundesrat zu entkrampften, besseren Beziehung beitragen?
Da der Bundesrat seit Jahren von Lega-Politikern und der Zeitung „il Mattino“ ständig beleidigt und lächerlich gemacht wird, darf man fragen, weshalb Lega-Mann Gobbi plötzlich unbedingt der viel geschmähten Landesregierung angehören will?