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Das ewig Weibliche ex Machina

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Wie ist es, eine Frau zu sein? Um die Frage zu beantworten, ob eine menschenähnliche Intelligenz in einer Maschine residieren kann, ersann Alan Turing 1951 ein sogenanntes „Imitationsspiel“. Vorlage war ein bekanntes Gesellschaftsspiel, in dem ein Teilnehmer das Geschlecht zweier verborgener Gesprächspartner über einfache Fragen erraten muss. Da es sich um Menschen handelt, besteht der Reiz des Spiels darin, einander auszutricksen, den Fragesteller auf die falsche Fährte zu führen. Turing ersetzte einen menschlichen Partner durch einen künstlichen. Eine nicht unbedeutende Marginalie ist, dass es Turing im ursprünglichen Spiel darum ging, eine Frau zu simulieren. Sein Setting bestand aus einem Fragesteller, einer Frau und einem Computer, der eine Frau simuliert. Er schlug vor, eine Maschine darauf zu prüfen, ob sie in der Lage wäre, weibliche Sensibilität und Intelligenz vorzutäuschen. Das Szenario hat etwas Pikant-Tragisches, wenn man sich daran erinnert, dass es von einem Logiker erdacht wurde, der seine Homosexualität – die eigene Weiblichkeit? – im England seiner Zeit verbergen, also eigentlich Männlichkeit simulieren musste. Er ging darob zugrunde.

Ein Archetypus

Das Szenario führt aber über das Computertechnische hinaus. In letzter Zeit machen immer wieder Filme von sich reden, in denen künstliche Intelligenz als Protagonistin verkörpert auftritt, als erotischer weiblicher Gegenpart zum männlichen Codierer. In „Blade Runner“ verliebt sich der Replikantenjäger Decker in die Androidin Rachael; in „Her“ ist der sozial unterentwickelte Theodore in das Programm „Samantha“ verschossen; nun verguckt sich in „Ex Machina“ der Programmierer Caleb in die künstliche Kreatur Ava (die Anspielung ist geschickt mehrdeutig: die biblische Eva oder Ada (Lovelace), die erste Programmiererin im 19. Jahrhundert oder einfach Avatar?). Das ist ein uraltes Motiv, das in unzähligen Abwandlungen die europäische Kulturgeschichte spickt: Pygmalion, Hoffmanns Puppe Olimpia, die Frauen von Stepford, das ELIZA-Programm von Weizenbaum, um nur einige zu nennen. Jungianer würden hier wohl von einem Archetypus sprechen.

„Die männliche Geburt der Zeit“

Ein gefundenes Fressen also für Mythenforscher und Schatzsucher im kollektiven Unbewussten. Etwas anderes am Plot von „Ex Machina“ scheint mir aber auch bedenkenswert zu sein, nämlich der immer wieder durchscheindende Machismo im ganzen Geschäft der Künstlichen Intelligenz. Seit alters wird mit dem Gegensatz von Reinheit und Unreinheit auch ein Geschlechtergegensatz assoziiert: Das männlich Formende versus das weiblich Wühlende, Verführende. Francis Bacon hatte vor 400 Jahren den Stimmton dieses wissenschaftlich-technischen Machismo angeschlagen, als er von der „männlichen Geburt der Zeit“ sprach – einem Millenium der Vervollkommnung, geboren aus rein masku­li­ner Kraft. Damit hatte er nicht nur das Zeichen für ein forsch-viriles Eindringen in die intimsten Geheimnisse der Natur gegeben, sondern zugleich auch für den Ausschluss der Frau aus diesem Unternehmen.

Der Purismus der Techno-Designer

Nur schon ein oberflächlicher Blick in die Geschichte der letzten 400 Jahre lässt uns erkennen, dass diese Ideologie bis heute in den Köpfen der intelligentesten Männer herumspukt. Vom Homunkulus in der Retorte des Alchemisten über Dr. Frankensteins Bastelei aus Leichenteilen bis zu den Gen-Architekten von heute treffen wir auf das Motiv der „rein“ männlichen, asexuellen Produktion des Menschen – es geht auch ohne Frau. Im Science-Fiction-Film „Matrix“ wächst der künftige Mensch im Fruchtwasser künstlicher Uteri heran. Ausdrücklich sinnierten die Pioniere des Human Genome Projects über die erste künstlich hergestellte menschliche Gensequenz als über einen „Adam II“. Ohnehin offenbart gerade der Kult der Künstlichkeit eine Forschermentalität, die „sich mit Weibern nicht befleckt“ sehen (Offenbarung 14/4) und sozusagen die Welt von ihrer unreinen „weiblichen“ Natürlichkeit säubern möchte. Die Herren der Künstlichkeit sind die Herren-Götter der reingemachten Welt. Und keusch und brüderlich bleiben sie unter sich.

Peter-Pan-Syndrom

Wenn der Mann sein Wunschbild aus „reinem“ Code „zeugt - könnte es sein, dass in der Verführungsmacht der künstlichen Frau sich auch die heimliche Angst des Mannes davor äussert, sein Spielzeug nicht im Griff zu haben? Eine Art Nemesis des autonom gewordenen Maschinenweibs, das sagt: Ich lasse mich nicht programmieren? Wie schreibt Ada Lovelace: „Die Maschine ist kein denkendes Wesen, sondern lediglich ein Automat, der nach Gesetzen handelt, die ihm auferlegt wurden." Ist es das, was die Programmierer suchen, die ja nicht selten im Kokon einer nerdigen Cyber-Existenz hausen? Ich vermute, ein nicht unbeträchtlicher Teil der Computerfreaks würde bei näherem Hinsehen das Peter-Pan-Syndrom von Männern manifestieren, die immer auf ihrer Spielwiese aus Silikon bleiben möchten – inklusive einige der mächtigsten Unternehmer der Welt. Im Grunde kaum der Rede wert, wenn sie nicht mit insistenter Kindsköpfigkeit die ganze Welt in eine Spielwiese nach ihrer Vorstellung verwandeln wollten.

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