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Zwei Wirklichkeiten

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Politische Talkshows auf den deutschen Fernsehkanälen sind in der Regel eher ermüdend bis ärgerlich als befruchtend und bereichernd. Gleichgültig, wer moderiert – stets die gleichen Themen, immer dieselben Gesichter, ein Wettbewerb beim Wiederkäuen unveränderter Thesen.

Eine wohltuende Ausnahme davon war die jüngste „Hart-aber-fair“-Sendung mit dem Präsentator Frank Plasberg in der ARD, die endlich einmal auch selbstkritisch der Frage nachging, welche Rolle die Medien (in Sonderheit das Fernsehen) nicht nur in der gegenwärtig durch die Flüchtlings-Problematik aufgeheizten innenpolitischen Situation spielten. Genauer: Ob die Redaktionen der Zeitungen und Sender überhaupt noch ihrer eigentlichen Aufgabe nachkämen, so gut es geht Wirklichkeiten abzubilden, anstatt die Leute zu besonderen Sichtweisen erziehen zu wollen.

„Lügenpresse“ und angebliche Tabus

Tatsächlich hat die Plasberg-Sendung den Blick auf zwei Entwicklungen geschärft, die nicht einmal unbedingt gegenläufig sind. Sie waren zwar schon seit längerem bemerkbar, sind aber jetzt (vor allem durch „Köln) – in den Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzungen gerückt. Und dies in einer Schärfe und mit einer Wortwahl, die bis vor relativ kurzer Zeit zwischen Rhein und Oder, Flensburg und Konstanz noch undenkbar erschien.

Es ist erstens, die Erkenntnis, dass „die“ Medien (also: Zeitungen, Radio und Fernsehen und damit die Journalisten) weitgehend ihr bis noch vor etwa 15 Jahren bestehendes Monopol der Deutungshoheit über das Geschehen daheim und weltweit verloren und – schlimmer noch – beträchtlich an Glaubwürdigkeit eingebüsst haben. Der von politischen Rechtsaussen zehntausendfach auf den Plätzen von Dresden und anderswo gebrüllte Kampfbegriff „Lügenpresse“ ist zwar so falsch wie nur irgendetwas. Aber er bringt dennoch auch bei vielen Bürgern in der „Mitte“ etwas zum Klingen, weil ihr Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung ohne Frage gelitten hat.

Genau umgekehrt dazu das Internet mit den so genannten sozialen Netzen. Es ist mitunter erschreckend, mit welch geradezu blindem Glauben unendlich viele Nutzer daran hängen. Weltverschwörungs-Theoretiker mögen noch so haarsträubenden Unsinn verzapfen – innerhalb weniger Minuten wird er von Zehntausenden „geteilt“.

Ein Beispiel: In Facebook erschien jüngst ein unscharfes, angeblich in der Kölner Silvester-Schreckensnacht aufgenommenes Video, auf dem eine Horde von Männern auf eine Frau einprügeln. Binnen kurzem wurde es über 300’000 Mal gesehen und weiter verbreitet. Wiederum binnen kurzem wird das Stück als Fälschung entlarvt; es war bei den Kairoer Krawallen bereits vor Jahr und Tag entstanden. Konsequenz: Null. Irgendeine Richtigstellung: Null. Wozu auch? Es flitzt ja schliesslich längst schon wieder eine andere Sau durchs Netz, auf die sich die gläubige Anhängerschaft stürzen kann.

Weisung von „oben“?

Vor diesem Hintergrund ist eine – hier ernsthaft, dort polemisch – diskutierte Frage schon fast akademisch geworden, die Frage nämlich, ob „die Medien“ und „die Politik“ bestimmte unliebsame Vorkommnisse und Entwicklungen entweder verschweigen oder zumindest in ihrer Bedeutung herunterspielen, weil sie angeblich nicht ins eigene Weltbild passen oder einer bestimmten Ideologie m Wege stehen.

Konkret: Hat es zum Beispiel Anweisungen an die Polizei (nicht nur in Köln) gegeben, Straftat-Statistiken dadurch zu „frisieren“, dass bei bestimmten Tätern Nationalität oder Hautfarbe nicht erfasst, jedenfalls nicht veröffentlicht werden? Natürlich wird das „oben“ vehement bestritten. Ein Kölner Polizist hat jetzt freilich bestätigt, dass dies seit Jahren allgemeine Praxis gewesen sei. Dazu habe es auch gar keines „Erlasses“ bedurft; es habe ohnehin jeder im Polizeipräsidium gewusst, was „gewünscht“ sei.

Und in den Redaktionen? Man muss das Beispiel einer jungen freien Mitarbeiterin des Westdeutschen Rundfunks (WDR) im Studio Aachen ja wirklich nicht übermässig hochhängen. Aber ein gewisses Schlaglicht wirft es schon auf bestimmte Realitäten. In der Diskussionssendung eines niederländischen Senders hatte die Journalistin berichtet, natürlich gebe es in ihrem Funkhaus so etwas wie eine Richtlinie hinsichtlich einer bestimmten Positiv-Berichterstattung bei der Flüchtlingsproblematik. Zwei Tage später nahm sie die Aussage („Ich habe Quatsch geredet“) wieder zurück und bat um Entschuldigung.

Man stelle sich einmal vor, ein Politiker hätte sich so etwas geleistet! Er wäre moralisch gesteinigt worden. Und zwar nicht nur von den Scharfrichtern im „Netz“. Oder (Google macht es ja möglich) man schaue sich noch einmal an, was die – inzwischen hochdekorierte – NDR-Redakteurin und Leiterin des Polit-Magazins „Panorama“, Anja Reschke, in einer Ansage im vorigen Oktober zu angeblichem kriminellen Verhalten von Zuwanderern von sich gab. Heute tut sie das mit einem Achselzucken ab.

Schiefgelaufen

Dass seit der faktischen Grenzöffnung für praktisch jedermann erkennbar im vorigen August vieles schiefgelaufen ist in Deutschland, zählt mittlerweile zum unbestrittenen Allgemeinwissen. Das gilt ohne jede Einschränkung auch für grosse Teile der Medienlandschaft. Oder glaubt jemand an einen Zufall, dass es nach der Silvesternacht ganze fünf Tage brauchte, bis das Geschehen auf der Domplatte und im Hauptbahnhof es zur Spitzenmeldung in den Hauptnachrichten-Sendungen von ARD und ZDF brachte?

Allerdings: Es waren eben auch gerade diese gescholtenen Medien – lokale Zeitungen wie in diesem Fall sogar die digitalen Netze –, die das zunächst die Wahrheit blockierende Schweigekartell von Polizei und Politik aufbrachen. Lügenpresse?

Keine Frage: „Köln“ hat die Landschaft verändert. Die politische ebenso wie die mediale. Mitunter reibt man sich verwundert die Augen, wenn man sieht, mit welcher Geschwindigkeit im Moment sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene Gesetze zur Strafverschärfung oder gar Ausweisung kriminell gewordener Ausländer (selbst Flüchtlinge und Asylbewerber) sogar mit dem Stimmen der Opposition beschlossen werden. Solche Vorgänge erschienen noch vor relativ kurzer Zeit undenkbar.

Mit einem Mal taucht sogar der früher einmal unumstrittene Satz auch wieder im aktuellen politischen Sprachgebrauch auf, wonach nur der starke, also seinen Bürgern auch Sicherheit im Innern garantierende, Staat auch eine wirklich tolerante und liberale „res publica“ sein könne. Und eben dieses Gefühl der Sicherheit ist bei vielen Menschen geschwunden.

Angst vor den Wahlen

Die augenblickliche Hektik auf der politischen Bühne ist natürlich zuvorderst eine Folge der Sorge, dass der Politik, ihren Organen, aber auch der Gesellschaft insgesamt die Problematik mit den Zuwanderern (noch immer überqueren täglich rund 3000 Menschen die offene Grenze) über den Kopf wachsen könne. Nicht zuletzt daraus erwächst allerdings logischerweise auch die Angst vor den Ergebnissen der in diesem Jahr anstehenden fünf Landtagswahlen in Deutschland: Am 13. März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, am 4. September in Mecklenburg-Vorpommern sowie am 18. September in Berlin: Und nicht zu vergessen – im Herbst 2017 wird der nächste Bundestag gewählt!

Das Erschreckendste für die „Traditionsparteien“ (zu denen auch längst die Grünen gehören) dabei sind die guten Umfrageergebnisse für die extrem ausländerfeindlich gewordene „Alternative für Deutschland“ (AfD). Ihr wird zugetraut, die Grünen als drittstärkste Kraft im Lande zu überflügeln.

Das ist deswegen so beunruhigend, weil die ursprünglich hauptsächlich EU-kritisch aufgetretene AfD ausser den Anti-Flüchtlingskundgebungen ja keinerlei politische Programmatik aufzuweisen hat. Keine Frage, sie sammelt am rechten Rand der Gesellschaft. Aber halt keineswegs nur dort. Vielmehr fungiert sie als eine Art Blitzableiter und Auffangbecken für viele eigentlich in der politischen Mitte angesiedelte Menschen, denen nicht nur die Bundeskanzlerin die Antwort auf die bange Frage schuldig geblieben ist, wie es denn weitergehen, ja wie es enden solle.

Die derart verunsicherten Leute kommen nicht nur aus der konservativen Ecke, sondern finden sich ziemlich gleichmässig in allen politischen Lagern, auch bei Anhängern der Grünen und ganz besonders in der kommunistischen „Linken“. Und nicht wenige davon machen den Medien den Vorwurf, Wahrheiten zu verschweigen und nicht genügend zu informieren.

Kaum noch ein Dialog möglich

Wer die vergangenen zwei Wochen aufmerksam deutsche Zeitungen las und die Sender verfolgte, konnte durchaus Veränderungen in der Berichterstattung feststellen. Nicht nur, dass es Journalisten waren, die durch ihre Recherchen Politiker und Polizei zwangen, Informationen über die Täter von Köln herauszugeben.

Mittlerweile wird auch ernsthaft darüber diskutiert, ob etwa der vom Deutschen Presserat 1972 erarbeitete Kodex überhaupt noch zeitgemäss und aufrecht zu erhalten sei, der bei Berichten über Straftäter eine weitestgehende Zurückhaltung hinsichtlich Hautfarbe oder Herkunft empfiehlt. Auch hier spielt das Internet eine treibende Rolle, wo sich die User bekanntlich keinen Deut um irgendwelche Rücksichtnahme kümmern, sondern ohne jeden Gedanken um die Folgen mit den persönlichen Daten anderer umgehen.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das Netz hat – zumindest in Deutschland – längst die gesellschaftliche Gesprächskultur verändert. Ganz zu schweigen von der Geprägtheit der Debatten. Wer gerade jetzt vor dem Hintergrund der krisenhaften Lage wegen der Flüchtlingsproblematik allein nur die Einträge bei Facebook verfolgt, erkennt (vielleicht mit Erschrecken) dass es den Benutzern meist überhaupt nicht um den Austausch von Meinungen geht. Man will vielmehr die eigene Wirklichkeit manifestieren und positionieren; je drastischer und unverschämter, desto mehr Resonanz.

Besteht Gefahr einer gesellschaftlichen Spaltung mit allen zerstörerischen Folgen für die Gesamtheit? Das hat längst begonnen, und man ist mitten drin.

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