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Die halbe Wahrheit

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Mit grossem Erfolg wie man spätestens seit der letzten Bundestagswahl weiss. Nun wird niemand den Mut und das Engagement jener Menschen negieren, die im Herbst 1989 in der DDR zu Tausenden auf die Strasse gingen und ihrem Staat den letzten Stoss versetzten.

Doch das ist eben nur die halbe Wahrheit. Denn die Menschen in der DDR trafen mit ihren Protesten im Herbst 1989 auf einen Staat, der vor dem Ruin stand. Seine staatlich gelenkte Wirtschaft mit ihren Fünf- und Siebenjahresplänen erwies sich mehr und mehr als unfähig.

Graue Tristesse

Für den Unterhalt des „antifaschistischen Schutzwalls“, der Mauer, für „medizinisch unterstützende Massnahmen“ im Leistungssport oder Grossparaden vor dem Palast der Republik reichte es zwar noch, aber ansonsten war der desolate Zustand des Landes, sein Niedergang überall zu sehen: Der Prenzlauer Berg in Ost-Berlin, eine einzige graue Tristesse, übertroffen nur noch von den bröckelnden Häuserfassaden in den sächsischen Kleinstädten.

Und er war zu riechen: das Flüsschen Pleisse in Leipzig eine stinkende, blubbernde Kloake, in Böhlen und Bitterfeld konnte die Wäsche zum Trockenen nicht mehr im Freien aufgehängt werden, weil sie innerhalb kurzer Zeit sonst schwarz geworden wäre, die Luft kaum noch zu atmen, verpestet von den Emissionen der Zweitaktmotoren und der Brikettfabriken…

Das Niveau prämonetären Tauschhandels

1989 war die DDR praktisch insolvent. Dabei hatte man alles versucht: sich bis über beide Ohren bei westlichen Banken verschuldet, Menschen gegen harte Währung verkauft, Häftlinge in den Zuchthäusern für internationale Firmen arbeiten lassen, alles, was nicht niet- und nagelfest war, verhökert – Antiquitäten und selbst die Pflastersteine der alten Alleen – , in Zürich die Firma „Palatinus“ gegründet, über die DDR-Bürger gegen Westgeld all das kaufen konnten, was für die „Aluchips“, wie Bevölkerung die eigene Währung despektierlich nannte, in ihrem Land kaum erhältlich war…

Jedoch, trotz aller Mühe: Es reichte hinten und vorne nicht. Und als der grosse Bruder Sowjetunion dann Rohstoffe nur noch zu Weltmarktpreisen zu liefern begann, stand die DDR-Wirtschaft - nicht konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt und auf das Niveau prämonetären Tauschhandels herabgesunken -  kurz vor dem Kollaps. Nun schmolz die Autorität des Staates von Monat zu Monat wie Butter in der Sonne.

Demütigung

Nur gut zehn Jahre vorher hatte die Staatsmacht auf die „Bitte“ vieler Künstler, die Ausbürgerung von Wolf Biermann „zu überdenken“ noch mit der üblichen Härte reagieren können: Die Prominenten unter ihnen wurden ermahnt oder wie die Schauspieler Armin Müller-Stahl oder Manfred Krug zur Ausreise gedrängt, die anderen erhielten Berufsverbote oder Haftstrafen. Ende der achtziger Jahre dagegen waren „Partei und Regierung“ der DDR zu solchen Reaktionen schlicht nicht mehr in der Lage.

Augenscheinlich wurde das am 1. Oktober 1989 als der erste Zug mit den Botschaftsflüchtlingen aus Prag durch Dresden nach Hof in Bayern fuhr. Eine Demütigung. Spätestens nun war klar, dass der Staat DDR am Ende war. Jetzt nahmen die Proteste der Menschen in Leipzig, Berlin oder Plauen Massencharakter an und gaben der taumelnden DDR den Rest.

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Liebesgrüsse aus Moskau

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Neonazis und Hooligans, nordkoreanische Zwangsarbeiter, Terrorwarnungen – das Bild, das in den westlichen Medien über Russland im Vorfeld der Fussball-WM gezeichnet wird, ist alles andere als schmeichelhaft. Nach dem Giftanschlag von Salisbury brachte der britische Aussenminister Boris Johnson gar einen WM-Boykott ins Spiel.

Lesen Sie den ganzen Artikel von Adrian Lobe in der Medienwoche.

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Adrian Lobe
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Neuwahlen im Juli?

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Mattarella empfing am Montag erneut die Parteipräsidenten des Rechtsbündnisses: Lega-Chef Matteo Salvini, Giorgia Meloni, Vorsitzende der postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ und den griesgrämigen Forza-Italia-Chef Silvio Berlusconi. Mattarella erklärte anschliessend die Versuche zu einer Regierungsbildung für gescheitert.

Das Rechtsbündnis, also alle drei Parteien zusammenn, hatten bei den Wahlen am 4. März imsgesamt am meisten Stimmen erhalten. Stärkste Einzelpartei wurde allerdings die Protestbewegung Cinque Stelle.

Lega-Chef Salvini will zusammen den Cinque Stelle eine Regierung bilden – allerdings unter Einbezug von Berlusconis Forza Italia. Das aber will Luigi Di Maio, der Chef der Cinque Stelle, nicht. Er weigert sich, den mehrmals verurteilten bald 82-Jährigen im Boot zu haben. Doch Lega-Chef Salvini will keinen Bruch des Rechtsbündnisses riskieren und hält deshalb – vorläufig – an Berlusconi fest. Die Fronten sind verhärtet.

Übergangsregierung?

Auch eine Koalition zwischen den Cinque Stelle und den Sozialdemokraten erwies sich als aussichtslos. Eine grosse Mehrheit der Cinque Stelle-Anhänger hat sich gegen ein Zusammengehen mit der Linken ausgesprochen. Auch innerhalb der Sozialdemokraten gibt es starke Vorbehalte.

Sollten die 5 Sterne und Salvini nicht doch noch in letzter Minute zusammenfinden, könnten schon bald Neuwahlen stattfinden. Bis dahin will Staatspräsident Mattarella eine sogenannt technische Regierung einsetzen, also ein Kabinett aus Fachleuten. Nicht ausgeschlossen ist, dass er bis zu Neuwahlen den bisherigen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni beauftragt, die Geschäft provisorisch zu führen. Salvini und Di Maio nennen als Datum für mögliche Neuwahlen den 8. Juli. Mattarella hingegen spricht von Neuwahlen Anfang 2019, was realistischer klingt.

Die Cinque Stelle waren mit rund 33 Prozent als stärkste Partei aus den Wahlen vom 4. März hervorgegangen. Di Maio hofft, dass die Protestbewegung bei erneuten Wahlen bis zu 40 Prozent der Stimmen erhält und dann allein regieren könnte. Jüngste Meinungsumfragen geben den Sternen 35 Prozent. Allerdings ist auch die Lega im Aufwind.

(J21/hh)

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Macron dominiert

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Am 1. und 5. Mai mobilisierte die Opposition gegen Emmanuel Macron, den sie als „selbstherrlichen Präsidenten der Reichen“ verunglimpft. Der traditionelle Umzug am Tag der Arbeit glich indes mehr einer Parade des bunten Regenbogens kleinerer Minderheiten in Frankreich. Ein Augenschein ergab, dass sich höchstens 10'000 Teilnehmer auf der Place de la Bastille, der traditionell linken Hochburg, versammelt hatten. Etwa 20 verschiedene Flugblätter mit verschiedenen Forderungen „an den Staat“ wurden verteilt. Im zentralistischen Frankreich gilt der Staatspräsident als „der Staat“.

Der Regenbogen

Alles war vertreten: Von linksanarchistischen Splittergruppen bis zu nationalkonservativen „Frexit“-Befürwortern, von „Sans-Papiers“ und temporären Migranten bis zu den klassischen Trotzkisten und Kommunisten. Auch Vertreter der bis vor kurzem mächtigen und seit der Präsidentenwahl dahinsiechenden Sozialisten waren präsent – ebenso die klassischen Trotzkisten und Kommunisten sowie Anhänger der syrischen, palästinensischen, türkischen und iranischen Auslandopposition. Dank unablässiger Wiederholungen über Lautsprecher weiss der Berichterstatter nun wie „la lutte finale“ auf Arabisch, Kurdisch oder in persischer Sprache tönt.

Auch Frankreichs drei grosse Gewerkschaften waren dabei, allerdings mit sehr kleinem Aufgebot. Sie hatten sich, nach eigenen Angaben, nicht auf einen gemeinsamen Auftritt einigen können. So fanden denn die offiziellen Maifeiern zweier Gewerkschaften anderswo statt. Immerhin waren die Eisenbahner, von denen viele immer noch streiken, lautstark zu hören. Zwar haben jetzt einige von ihnen die Arbeit wieder aufgenommen. Doch noch immer fehlt es an Lokomotivführern, weshalb der Bahnbetrieb weiterhin stark eingeschränkt ist.

Der schwarze Block

Plötzlich waren einige schwarz gekleidete Anarchisten aufgetaucht. Sie setzten sich nach halber Wegstrecke an die Spitze des Umzugs und setzten zwei Geschäfte und einige Autos in Brand. Im Weiteren zertrümmerten sie einige Unterstände an Bushaltestellen. Nach offiziellen Angaben verhaftete die Polizei rund 200 Mitglieder des „Schwarzen Blocks“. Unter ihnen befanden sich Italiener und Deutsche. Sie gehören wohl zur „Internationale der Casseurs“.

Fernsehbilder zeigten, wie Flammen aus einer Filiale eines McDonald’s-Geschäftes züngelten. Über einem Boulevard lag dicker, schwarzer Rauch. Man sah, wie Sicherheitskräfte der staatlichen Gendarmerie im Laufschritt die Aktivisten des Schwarzen Blocks verfolgten.

Das alles hatte allerdings nichts zu tun mit einer „vorrevolutionären Stimmung“, die die Demonstranten 50 Jahre nach den Pariser Mai-Unruhen herbeisehnten.

„La fête à Macron“

Am darauffolgenden Samstag demonstrierten dann die gegenwärtig linke Galionsfigur Jean-Luc Mélenchon und seine Bewegung „La France Insoumise“ (Unbeugsames Frankreich). Unter dem Banner „La fête à Macron“ versammelten sich auf dem Platz vor der „Opéra Garnier“ nach Angaben der Veranstalter 160'000 Menschen. Nach offiziellen Angaben waren es knapp 40'000. Sie kamen aus allen Teilen Frankreich, um ihre Empörung über die „Politik für die Reichen“ zum Ausdruck zu bringen.

Protestlawine?

Mélenchon ist ein begnadeter Populist. Er ist gegen fast alles, und er ist kaum für etwas. Immer wieder gelingt es ihm, Frustrationen zu schüren. In seiner Schlussrede wandte er sich einmal mehr „gegen die Machtgier des Geldes“. Die Worthülsen des 70-Jährigen fallen bei seinem erstaunlich jungen Publikum auf fruchtbaren Boden. Viele seiner Anhänger sind Schul- und Studienabgänger, die nur beschränkte berufliche Perspektiven haben. Viele sind unterbezahlt und nur auf Zeit angestellt. Mélenchon ist sicher im Moment der einzige Politiker, der dem Staatspräsidenten rhetorisch gewachsen ist. Ende Mai will er „eine Protestlawine“ gegen Macron in über hundert französischen Städten lostreten. Ob und wie er das Protestpotential findet, ist unklar.

Macron im Pazifik

Während in Frankreich demonstriert und gestreikt wird, weilt der Präsident am andern Ende der Welt. Dort will er, wie er in einem Interview in Australien sagte, „die Geschäfte Frankreichs führen“. In Canberra diskutierte er mit dem konservativen Premierminister Malcolm Turnbull über die traditionelle Führungsrolle Australiens im westlichen Pazifik.

In sechs Monaten stimmen die Stimmberechtigen in Neu-Kaledonien, einer französischen Inselgruppe im Südpazifik, über ihre Unabhängigkeit ab. Die Beziehungen zwischen dem Mutterland und Neu-Kaledonien sind seit der Kolonialzeit belastet. In Nouméa, der Hauptstadt der Inselgruppe, zog sich Macron zumindest rhetorisch glänzend aus der Affäre.

Bedenken gegenüber China

In einer Rede, die an Obama erinnerte, bezeichnete er sich als der erste französische Staatspräsident, der in Frankreichs nachkolonialer Geschichte geboren wurde. Deshalb bat alle Seiten um Grossmut. Bei der bevorstehenden Volksabstimmung solle nicht die Vergangenheit und der einstige Kolonialismus eine Rolle spielen, sondern die Zukunft. Unter den Zuhörern befand sich die Elite der Inseln sowie auch Vertreter der melanesischen Ureinwohner.

Die Zukunft, so Macron, werde in der Region von den dortigen Grossmächten, vor allem von China bestimmt. Peking verhandelt im Moment mit der unabhängigen Nachbarinsel Vanuatu über einen Flottenstützpunkt. Macron forderte sein Publikum nicht ausdrücklich auf, gegen die Unabhängigkeit zu stimmen. Doch er liess durchblicken, dass ein unabhängiges Neu-Kaledonien eine ungewisse finanzielle und politische Zukunft hätte, die von China mitgeprägt würde.

Asien-Pazifik und Indo-Pazifik

Bewusst bezeichnete Macron sowohl in Australien als auch in Neu-Kaledonien die Region immer wieder als „indo-pazifisch“. Für Japan, Australien und Indien bedeutet „indo-pazifisch“: der Grossraum Asien-Pazifik ohne chinesische Dominanz. Auch unter Trump wird „the Indo-Pacific“ als Kampfbegriff gegen Peking verwendet.

Mit diesem Begriff hat sich Macrons Frankreich klar politisch positioniert und eine Botschaft an die pazifischen Anrainerstaaten gerichtet: Frankreich sei das einzige EU-Land mit direkten Interessen in der Region. Es verfüge über die weltweit zweitgrösste Marine und vertrete eine demokratische, sozialliberale Gesellschaftsordnung – dies im Gegensatz zum autoritären Kapitalismus der Chinesen.

Innen- und aussenpolitisch spielt Macron mit hohem Einsatz, ohne Scheu vor Neuem. Für das wurde er in Frankreich mit klarer Mehrheit gewählt. Und für das wird er von einer klaren Mehrheit von Europäern geschätzt. Momentan gelingt ihm diese Dominanz erstaunlich gut.  

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Paris
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Persisches Sprichwort

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 تخم مرغ دزد شتر دزد می شود
(Wer Eier stiehlt, stiehlt bald auch Kamele.)

„Victoria“

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Das Historische Museum Luzern zeigt zum 150-jährigen Jubiläum dieses Besuchs eine informative Ausstellung; gleichzeitig ist unter dem Titel „Queen Victoria in der Schweiz“ eine vom englischen Historiker Peter Arengo-Jones verfasste und von Christoph Lichtin herausgegebene Begleitpublikation erschienen.*)

Hauptgrund für Victorias Schweizer Reise war der schlechte Gesundheitszustand der Monarchin, die nach dem frühen Tod des geliebten Prinzgemahls Albert an schweren Depressionen litt. Die grösste Zeit ihres sorgfältig geplanten Aufenthalts verbrachte die Königin in der privaten Pension Wallis auf dem Gütsch oberhalb von Luzern. Sie war mit zahlreichem Gefolge unterwegs, dem drei ihrer Töchter, ihr bewährter schottischer Kammerdiener, ein Pastor, der Leibarzt und ein Schweizer Reiseführer angehörten. Victoria suchte Ruhe und Abgeschiedenheit; sie reiste unter einem freilich schwer zu wahrenden Inkognito und vermied öffentliche Auftritte.

Mit der mitgeführten Kutsche

Die wichtigste Quelle zu ihrem Schweizer Aufenthalt bildet das Tagebuch der Königin. Hinzu treten zahlreiche weitere Zeugnisse, die Peter Arengo-Jones, ein ausgewiesener Kenner ihrer Biografie, in zahlreichen Archiven und Privatsammlungen aufgespürt hat. Der Verfasser zitiert gern und mit einer gelegentlich ausufernden Ausführlichkeit, und so entsteht eine faktenreiche und anschauliche Darstellung, die es dem Leser gestattet, den Verlauf des Aufenthalts im Detail zu verfolgen. Das Buch ist reich und mit Kennerschaft illustriert; hervorgehoben seien die farbig wiedergegeben Aquarelle der Königin und ihrer Tochter Louise.

Victorias Schweizer Aufenthalt fällt in die Zeit, als englische Reisende massgeblich zum Aufschwung des Tourismus in der Schweiz beitrugen. Thomas Cook organisierte 1863 die ersten Gruppenreisen, und es erschienen Reiseführer im Druck, welche auf die Sehenswürdigkeiten hinwiesen, die es zu besichtigen galt. Auf ihrem Pony „Flora“, in der aus Schottland mitgeführten Kutsche „Sociable“ und auf dem für sie reservierten Dampfschiff „Winkelried“ erkundete die Königin zuerst Luzern und die nähere Umgebung der Stadt und besichtigte das Löwendenkmal, die Tellskapelle, die Hohle Gasse in Küssnacht. Der Anblick des Sees und der Berge stimmte sie glücklich: „Es ist wirklich das“, schrieb sie ins Tagebuch, „was ich erträumt hatte, aber kaum glauben konnte, es jetzt in Wirklichkeit zu sehen.“

„Gähnend fürchterliche Abgründe“

Die anhaltende Sommerhitze und der Föhn veranlassten Victoria zu einer für eine Dame in ihrer Stellung geradezu abenteuerlichen Exkursion ins Hochgebirge. Man blickte, notierte sie im Tagebuch, hinab in die „gähnenden und fürchterlichen Abgründe“ der Schöllenenschlucht, bestaunte die „berühmte Teufelsbrücke“, übernachtete in einer „elenden kleinen Schenke“ auf dem Furkapass und genoss die „unbeschreibliche Wirkung“ des noch von keiner Klimaerwärmung heimgesuchten Rhonegletschers. Gegen den Schluss ihres Aufenthalts liess sich die Queen von ihrem Pony auf die Rigi und den Pilatus tragen und besuchte das Kloster Engelberg.

Das Buch von Peter Arengo-Jones zeichnet das eindrückliche Porträt einer reisenden Aristokratin aus der Frühzeit des Tourismus. In ihren eigenen Aufzeichnungen und in den Aufzeichnungen ihrer Begleiter erscheint Victoria als eine wissbegierige, unternehmungslustige und humorvolle Frau, die sich rasch so wohl fühlte, dass sie ein anstrengendes Reiseprogramm bewältigen konnte. Im Umgang mit der Bevölkerung beeindruckte die „Frau Königin“ durch ihr schlichtes und freundliches Auftreten. Keine andere Touristin hat sich dem kollektiven Bewusstsein der Nation so tief eingeprägt wie Queen Victoria.

*) Peter Arengo-Jones, Christoph Lichtin: Queen Victoria in der Schweiz. Verlag Hier und Jetzt, Baden 2018.

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Wenn Lärm Lernen verhindert

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Nach 1900 wurde die Welt hell und schnell. Elektrizität und Benzin, Parfum des Fortschritts, veränderten das Leben der Menschen – die zweite industrielle Revolution. Mit den Maschinen und Motoren stieg der Lärm. Das Rattern wurde inzwischen zwar leiser. Doch der Lärm blieb. Und er drang in jüngster Zeit bis in die Klassenzimmer vor. Allerdings aus anderer Quelle. Der Schweizer Lehrerverband LCH will die Lehrer davor schützen, wie er am internationalen Tag gegen den Lärm von Ende April bekanntgab.[1]

Gegen Lärm helfen heute Hörschutzgeräte

Natürlich sind Schulhäuser keine Mausoleen; verspieltes Treiben und lautes Kinderlachen gehören konstitutiv zur Schule. Ruhe kann kein Dauerzustand sein – ebenso wenig wie eine permanente Geräuschkulisse.

Und doch ist es eine leidige Tatsache: Die Unruhe nimmt zu, der Lärmpegel steigt, die Schallemissionen in den Klassenzimmern rufen nach Hörschutzgeräten. Der Pamir aus dem Schützenstand und dem militärischen Gefechtsfeld erobert die Schulzimmer. Doch Pamire können nicht die Lösung sein, meint Jürgen Oelkers, emeritierter Hochschullehrer für Allgemeine Pädagogik der Universität Zürich. Und er fügt bei: „Es wäre bedenklich, wenn es in den Klassenzimmern tatsächlich so laut wäre, dass man Gehörschutz bräuchte.“[2]

Paradigmenwechsel der Verantwortung

Und wie reagiert der Schweizer Lehrerverband LCH? Er verlangt „Rückzugsräume [für Lehrpersonen!] in den Pausen“.[3] Dazu fokussiert sich der LCH auf stickige Luft und schlechtes Licht in den Schulzimmern.[4] Das alles ist wichtig. Zweifelsohne. Beat Zemp, oberster Schweizer Lehrer, will deshalb Räume und Akustik vermessen. Doch das aktuelle Kernproblem, Lärm und Unruhe, liegt ausserhalb dieser engen Sichtweise. Der LCH justiert am falschen Ort.

Nicht messen, hineinzoomen ins Eigentliche und Wesentliche der Schule, in den Unterricht, täte not. Und da erkennt man schnell, was sich verändert hat: die Verantwortung. Sie ging von den Lehrpersonen an die Schülerinnen und Schüler über. So verlangt es das neue Lehr- und Lernparadigma: „Konstruktivismus ist gut, direkte Instruktion schlecht.“[5] Die Kinder zeichnen an vielen Schulen für ihr Lernen selber verantwortlich; sie lernen selbständig und eigengesteuert. Pädagogen mutieren zu Coachs und begleiten Lernprozesse. In dieser technokratischen und entpersonalisierten Funktion gestalten sie Lernlandschaften und moderieren das selbstorganisierte Arbeiten ihrer Schülerinnen und Schüler. Das ist der Trend, wie eine Abteilungsleiterin der Pädagogischen Hochschule Zürich vor einiger Zeit bekräftigte. Lernen ohne Lehrer – „LoL“ – ist angesagt. Pädagogen bringen sich damit selber zum Verschwinden.

Lärm stört Konzentration und Lerneffekt

Ein beliebiges Beispiel illustriert die Delegation der Lernverantwortung. Besuchstag in einer zweiten Primarklasse: Die einen Kinder üben die 8er-Reihe; andere beschäftigen sich, laut redend, mit einem anderen Gegenstand. Die Schüler der 8er-Reihe sitzen oder liegen auf den Boden; einer hat einen Zettel vor sich, dann wird gewürfelt. Zahl 7 beispielsweise heisst: 7 mal 8. Jemand ruf das Resultat. Die Schreiberin notiert am Boden die ganze Rechnung, während die andern warten und zuschauen. Dann wird wieder gewürfelt, und so geht es weiter.

Der stille Beobachter denkt sich: Warum nicht im Halbkreis aufmerksam und zusammen mit der Lehrerin üben? Traditionell wäre die Effizienz wohl bedeutend grösser. Dazu sässen die Jugendlichen. Schwächere Kinder könnten sich nicht „drücken“ und hinter andern Mitschülern verstecken. Die Lehrerin würde auch sie animieren und sorgsam in den gemeinsamen Lernprozess integrieren. Und – ganz wichtig: Es herrschte konzentrierte Ruhe. Die Lärmquelle wäre eliminiert. Elternklagen verstummten.

Das pädagogische Vokabular verändert sich

Die Sprache schafft Wirklichkeit. Die pädagogische Semantik verengt sich auf einige wenige Begriffe: vom Lehren zum entdeckenden Lernen; von der Instruktion zum „selbstregulierten“ Arbeiten, zur eigentätigen Konstruktion. Welch didaktische Armut im Vergleich zu Hans Aeblis vielfältigen Grundformen des Lehrens.[6] Heute dominiert das selbstorganisierte Lernen und diktiert die Methode; sie wird zum Imperativ von oben: Lernende sollen selber alles aktiv hervorbringen. Der Lehrer wird zum Begleiter, so lautet vielerorts die offizielle Doktrin.

„Ja nicht zu viel Interaktion der Lehrperson!“, berichten Pädagogen. So suggeriere man ihnen vonseiten der Schulleitung. Und angehende Junglehrer sehen sich mit dem Vorwurf konfrontiert, sie seien in der Lektion „zu präsent gewesen“ und hätten zu viel instruiert.

Präsent sein und auch im Rücken Augen und Ohren haben

Dabei verhalten sie sich genauso, wie es empirische Studien postulieren und die Neurobiologie nahelegt: vital präsent sein, verstehende Zuwendung zeigen, ermutigen: die Pädagogin als menschliches Gegenüber, der Lehrer als erste Stimmgabel, der Resonanzen erzeugt und im jungen Menschen etwas zum Klingen bringt.

„Withitness“ nennt das der Klassiker des Classroom Management, Jacob S. Kounin:[7] allgegenwärtig und dabei sein. Schülerinnen und Schüler bekommen so das Gefühl vermittelt, dass die Lehrperson all ihre Aktivitäten wahrnähme, dass sie sozusagen „Augen im Hinterkopf" habe und darum störende Vorfälle nicht übersehe oder gar toleriere.[8] Ein ganz wichtiges Element zur präventiven Elimination von Lärmquellen. Der momentan einflussreichste Bildungsforscher, der Neuseeländer John Hattie, konnte zeigen, dass das Merkmal „with-it-ness" von allen Facetten der Klassenmanagements den stärksten lernförderlichen Effektwert hat.[9]

Lerncoach? Nein: Pädagoge! Dirigentin!

Der Schreibende hat viele (Primar-)Schulstunden analysiert und manche (Gymnasial-)Klassen einen ganzen Tag lang begleitet. Wer das erlebt, sieht sofort: Klassen können bei Lehrerwechsel innert Minuten ein ganz anderes Verhalten zeigen. Das hat nichts zu tun mit Raumgrösse oder Akustik, das hat zu tun mit der Lehrperson, mit ihrer Präsenz und ihrem Vermögen, Kinder zu führen und sie zu inspirieren. So, wie eine gute Dirigentin ihr Orchester gewinnen muss, den Ton angibt, das Tempo setzt und weiss, wohin sie mit dem Werk will.[10] Der Dirigent führt als Vorbild. Oder, um es mit dem David Zinman, ehemaligem Chef des Zürcher Tonhalle Orchesters, zu sagen: „Ich muss die Musik sein, die ich von meinem Orchester hören will.“ Ab einem gewissen Punkt weitet die Dirigentin ihren Musikern den Raum; sie können sich entfalten – in Analogie zur guten Lehrperson und ihren Kindern.

Allerdings wirkt das Wort „Führen“ in der pädagogischen Welt von heute wie ein Relikt aus überwundener Zeit. Und doch: Lehrerinnen und Lehrer sind Führungskräfte. Eben Pädagoginnen: paid-agogein, wie es im Griechischen heisst. Kinder hin(an)führen. Führen, nicht coachen. Klar im Anspruch und in den Zielen. In solchen Unterrichtsstunden war Lärm ein Fremdwort.

Abwechslung ohne Zerstreuung   

Empirische Studien zeigen: Gute Lehrpersonen steuern den Unterricht und stellen das Lernen der Kinder ins Zentrum – im Wissen: Selbständig und frei werden sie nicht über selbstreguliertes Lernen oder Lernen ohne Lehrer LoL. Der Weg zum Können und zur Autonomie führt gemäss John Hattie über eine schülerorientierte Lehrersteuerung. Dazu gehört, wie der Neurobiologe Joachim Bauer eindrücklich aufzeigt, neben der Empathie das Führen. Das sind die beiden Säulen eines vielgestaltigen, konzentrierten Unterrichts.

Das Verfahren der Pädagogik, so lässt Goethe in den „Wahlverwandtschaften“ Charlotte von Stein sagen, sei „Abwechslung ohne Zerstreuung“ und – das müsste er heute wohl beifügen – ohne Lärm.

[1] Gemeinsam gegen den Lärm, in: https://www.lch.ch/news/aktuell/artikel/dokument/gemeinsam_gegen_laerm/ [Status: 05.05.2018]

[2] Der Pamir erobert die Schulzimmer, in: 20 Minuten, 21. April 2013.

[3] Yannick Nock, Gesundheit in Gefahr: Lehrer klage über zu viel Lärm in Klassenzimmern, in: Schweiz am Wochenende, 22.04.2018.

[4] Schlechte Luft in Schulzimmern, in: https://www.svlw.ch/259-zu-dicke-luft-in-schulzimmern [Status: 05.05.2018]

[5] John Hattie (2013). Lernen sichtbar machen. Überarbeitete und erweiterte deutschsprachige Ausgabe von „Visible Learning“, besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 242.

[6] Hans Aebli (2011), Zwölf Grundformen des Lehrens Eine Allgemeine Didaktik auf psychologischer Grundlage. Medien und Inhalte didaktischer Kommunikation, der Lernzyklus. Stuttgart: Klett-Cotta. Aebli war Schüler von Jean Piaget und Hochschullehrer in Bern.

[7] Kounin Jacob S. (2006), Techniken der Klassenführung. Klett: Stuttgart. In diesem Bereich hatte weltweit kein anderer Autor einen solchen Einfluss wie Kounin.

[8] Andreas Helmke (2015). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, S. 178f.

[9] Hattie, a.a.O., S. 122. Der Effektwert beträgt d=1.42 Der „erwünschte Effekt“ liegt bei 0.4.

[10] Gem. John Hattie, in: in: Yannick Nock, So lernen Kinder am besten. Schweiz am Wochenende, 28.04.2018, S. W2.

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Sieg des pro-iranischen Hizbullah

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Das neue Proporzsystem hat nicht dazu geführt, dass die alten und reichen Berufspolitiker ausgeschaltet und durch neue und jüngere auf das Gemeinwohl hinwirkende Parlamentarier ersetzt worden wären. Noch liegen die Ergebnisse nicht im Detail vor. Doch in grossen Zügen sind sie bekannt.

Mit Paula Jacubian schaffte es nur eine einzige Abgeordnete der sogenannten „Bürgerlisten“ ins Parlament, und zwar im Wahlkreis Beirut 1. Eine zweite Frau der gleichen Ausrichtung, Jumana Haddad, wurde am Sonntagabend ebenfalls als gewählt erklärt. Doch dann hiess es im Innenministerium, eine Zweitauszählung habe ergeben, dass sie nicht die nötige Stimmenzahl erhalten habe. Dies führte zu einem Protest der Parteigänger und Anhängerinnen Haddads vor dem Innenministerium. Der Fall muss wohl von einem Gericht entschieden werden. Die relativ geringe Wahlbeteiligung von 49,2 Prozent dürfte mitbewirkt haben, dass die alten Berufspolitiker und und Klientelchefs sich durchsetzen konnten.

Hizbullah triumphiert

Unter den bisherigen politischen Gruppen und ihren Anführern gab es Verschiebungen. Die wichtigsten sind: Hizbullah und die mit der schiitischen Kampfpartei verbündeten Gruppen haben gewonnen. Hizbullah erhielt zwar gleichviele Abgeordnete wie zuvor, doch seine Verbündeten konnten zulegen. Wahrscheinlich wird Hizbullah und seine Verbündeten im Parlament mit 67 der 128 Abgeordneten über die absolute Mehrheit verfügen. Bisher besassen Hizbullah und seine Alliierten im Parlament nur eine Sperrminderheit. Doch schon dies hatte genügt, um die Arbeit von Parlament und Regierung jahrelang zu blockieren.

Die Partei von Staatspräsident Michel Aoun hat einige Sitze verloren,  doch bleibt sie mit wahrscheinlich 25 statt wie bisher 27 Sitzen ein starker Verbündeter des Hizbullah-Blocks.

Saad Hariri verliert ein Drittel seiner Abgeordneten

Die wichtigste Verliererin ist die „Zukunftsbewegung“ von Ministerpräsident Saad Hariri. Die Partei hat 11 ihrer bisher 34 Sitze verloren. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Saudis Hariris Wahlkampf nicht mehr finanzierten. Im November 2017 war Hariri während eines Besuchs in Riad zum Rücktritt gezwungen worden. Nachdem er nach Beirut entkommen war, zog er die Demission zurück. Hariri selbst wollte nicht vom Geld reden. In seiner Heimatstadt Tripolis hat der Stimmenkauf Tradition. Der Ministerpräsident erklärt seinen Rückschlag mit dem neuen Wahlsystem, „das viele nicht verstanden“.

Der geschwächte Hariri hat wahrscheinlich keine andere Wahl als seine bisherige vorsichtige Zusammenarbeit mit Hizbullah fortzusetzen. Wenn er das tut, kann er wohl zunächst Ministerpräsident bleiben, weil in Libanon der Ministerpräsident immer ein Sunnite sein muss. Einige der in den Wahlen erfolgreichen sunnitischen Konkurrenten Hariris sind scharfe Gegner der Schiiten-Partei. Sie sind auch gegen ein Zusammengehen mit dem Hizbullah. Notgedrungen werden sie jetzt wohl in die Opposition gedrängt werden.

Gestärkte Feinde des Hizbullah

Die Opposition gegen den Hizbullah wurde dadurch gestärkt, dass die „Forces Libanaises“ (FL) ihre Sitzzahl im Parlament von 5 auf 11 erhöhen konnten. Die FL stehen unter der Führung von Samir Geagea. Er war ein grausam entschlossener Anführer einer pro-christlichen Miliz im libanesischen Bürgerkrieg. Nach dem Krieg wurde er wegen „Kriegsverbrechen“ verurteilt und verbrachte die Jahre 1994 bis 2005 im Gefängnis. Nach dem Abzug der syrischen Kräfte aus Libanon im Jahr 2005 kam er frei und übernahm die Führer seiner FL-Partei. Er und die Seinen sind bittere Feinde der Syrer und des Hizbullah. Die Forces Libanaises lehnen sich auch gegen Staatspräsident Aoun auf, dessen NPM (Nationale Patriotische Bewegung) mit dem Hizbullah zusammenarbeitet.

Geageas vermehrtes Gewicht im Parlament wird bewirken, dass der Riss zwischen Freunden und Feinden des Hizbullah – den Hariri zu überbrücken versucht, um regieren zu können – nicht einfach verschwinden kann. Die FL können nun zwischen Hizbullah und den libanesischen Sunniten das Zünglein an der Waage spielen. Diese Rolle hatten bisher die drusischen Kräfte unter Führung der Jumblat-Familie inne.

Israel: Libanon = Hizbullah

Als erster Israeli reagierte Erziehungsminister Naftlali Bennet auf die Stärkung des pro-iranischen Hizbullah. Bennet schrieb in einem Tweet, nun „gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Libanon und Hizbullah. Wir machen den Staat Libanon dafür verantwortlich, was Hizbullah vom libanesischen Terrirorium aus unternimmt“.

Für den Augenblick wird nicht viel geschehen. Wahrscheinlich wird Saad Hariri in der Lage sein, vorsichtig mit Hizbullah und seinen Verbündeten zusammenzuarbeiten und eine Koalitionsregierung bilden zu können. Doch die Zeiten stehen im Nahen Osten auf Sturm, vor allem wegen einerseits der erwarteten Verschärfung des Konflikts zwischen Iran und Saudi-Arabien. Zudem droht droht der Streit zwischen den USA und Israel einerseits und Iran andererseits gefährlich zu eskalieren. Diese Konflikte könnten auf mittlere Sicht die fragile Lage in Libanon durchschütteln.

Schiiten geeint - Sunniten gespalten

Für den Augenblick gilt: Statt der bisher zwei, gibt es nun im libanesischen Parlament nur noch ein starkes Lager, jenes des Hizbuzllah. Ihm gegenüber steht nicht mehr ein geeinter sunnitischer Block unter Ministerpräsident Hariri. Die Sunniten sind nun gespalten. Unter ihnen befinden sich scharfe Gegner des Hizbullah sowie andererseits Kräfte, die Hariri treu sind und zu einer Zusammenarbeit mit der Schiitenpartei neigen.

Die Maroniten und andere Christen waren schon früher zerstritten, weil die Partei des christlich-maronitischen Staatspräsidenten Aouns mit Hizbullah zusammenarbeitete. Diese Spaltung hat sich nun wegen der Stärkung der Forces Libanaises vertieft.

Im Gegensatz zu den Sunniten und Christen sind die Schiiten weiterhin geeint und stehen hinter Hizbullah und dessen gemässigter Bruderpartei Amal.

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Dumm und gefährlich

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Wir wissen es: Iran ist kein Sonntagsschüler. Das Land tritt die Menschenrechte mit Füssen, zündelt mit der Atombombe und baut ballistische Raketen. Es unterstützt Terroristen, führt einen Stellvertreterkrieg in Jemen und Syrien und kämpft gegen Saudi-Arabien um die Vorherrschaft in der Region. Und manche der iranischen Machthaber möchten die Israeli noch immer ins Meer werfen.

Aber: Iran hat 2015 mit den fünf ständigen Mitgliedern des Uno-Sicherheitsrates (plus Deutschland) ein Abkommen geschlossen, das garantieren soll, dass das Land keine Atombombe baut.

Trump sieht Iran als Wurzel allen Übels. Ihn stört, dass der Gottesstaat zu einer Regionalmacht geworden ist, die den USA und ihrem Verbündeten Saudi-Arabien Paroli bietet. Er erinnert auch immer wieder daran, dass Teheran den Hizbullah und Hamas unterstützt, die in vielen Staaten auf der Terroristenliste stehen.

Der schiitische Gottesstaat hat den Atomvertrag nach Prüfung internationaler Experten bisher eingehalten. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu behauptete kürzlich das Gegenteil und erklärte medienwirksam, Iran baue im Geheimen weiterhin an Atomwaffen. Netanjahus Auftritt war wohl eher dazu da, Trumps Ausstiegs-Entscheid medial vorzubereiten. Der Auftritt des israelischen Ministerpräsidenten erinnert an Colin Powells peinliche Show vor dem Uno-Sicherheitsrat, als er erklärte, Saddam Hussein lagere Massenvernichtungswaffen. Powell entschuldigte sich später und bezeichnete seinen Auftritt als den grössten Fehler seiner Karriere.

Trumps Entscheid könnte weitreichende Folgen haben und die Kriegsgefahr erheblich erhöhen. Iran ist ein stolzes, starkes Land. Wird es in die Isolation gedrängt, wird es unberechenbar. Wer isoliert, beschimpft und ausgegrenzt wird, ist zu vielem fähig.

Wie geht es nun weiter? Ausser in den USA und Israel wird Trumps Entscheid als kurzsichtig, gefährlich und dumm eingestuft.

Irans Präsident Rohani deutete an, dass sich sein Land bei einer Kündigung des Atomdeals an das Abkommen halten werde. Denn ausser den USA würden es ja alle Vertragsmächte unterstützen. Doch Rohani ist nicht allzu stark. Die radikalen Revolutionsgarden schwören Rache – wie diese auch immer aussehen wird.

Trumps Entscheid ist auch eine Ohrfeige und ein Rückschlag für die gemässigten Kräfte in Iran, die in mühsamer Kleinarbeit eine Annäherung an den Westen suchen. Die Kündigung des Atomdeals wird dazu führen, dass die radikalen Kräfte radikal gestärkt werden.

Betroffen von Trumps Ausstieg ist auch Europa, das wirtschaftlich stark vom Atomdeal profitierte. Die Geschäfte zwischen der EU und dem Gottesstaat begannen zu blühen. Jetzt könnte Europa in eine schwierige Lage geraten. Künftig könnten Staaten, die mit Iran Geschäfte betreiben, wieder von den USA bestraft und mit Sanktionen belegt werden.

Bei Trumps Entscheid geht es nicht nur um Iran. Es geht auch um seinen Vorgänger Obama, der das Abkommen nach jahrelangem Ringen zustande gebracht hatte und dafür mit Lob überschüttet wurde. Dass Obama beliebter ist als er, verträgt der jetzige Herr im Weissen Haus noch immer nicht. Trump tut alles, um Obamas Errungenschaften zunichte zu machen. Mit seinem Hass auf seinen Vorgänger riskiert Trump einen Flächenbrand im Nahen Osten.

Trumps Kündigung des Atomdeals löst keines der Probleme. Im Gegenteil: Neue, ernsthafte Probleme entstehen. Iran wird jetzt erst recht aufrüsten. Die Russen stehen schon bereit.

Dass sich Israel vor Iran und seinen Hardlinern fürchtet, ist nachvollziehbar. Die Frage ist nur, ob sich der jüdische Staat ohne das Atomabkommen noch mehr fürchten muss. Wie schreibt die Washington Post am Dienstag: Das Ende des Nukleardeals könnte es Iran einfacher erlauben, die Bombe im Geheimen zu bauen.

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Feminismus ist Feminismus

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Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der neuen Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.

Michael Klein ist sechzehn Jahre alt und besucht das IB-Profil am Realgymnasium Rämibühl.  Debattieren und diskutieren sind zwei seiner Leidenschaften. Letztes Jahr gewann er am International Young Naturalist’s Tournament (IYNT) in China als Mitglied der Schweizer Delegation die Goldmedaille. Seine Freizeit verbringt er entweder auf dem Tennis- oder auf dem Fussballplatz.

                                                     ***

„Feminismus bedeutet 'Gleichberechtigung aller Menschen’ -  und wenn du mir nicht zustimmst, liegst du falsch.“ Dies ist die pointierte Aussage einer befreundeten Ivy- League-Schülerin. Sie ist bei weitem nicht die einzige, die so denkt und argumentiert. Gleichberechtigung zwischen allen Menschen? Eine verlockende und auf den ersten Blick überzeugende, aber grundsätzlich naive Idee. Thomas Jefferson, der ehemalige Präsident der USA, fasst es wohl am treffendsten zusammen: „Nothing is more unequal than to treat unequals equally.“

Ein Beispiel zur finanziellen Gleichberechtigung zwischen den beiden Geschlechtern illustriert diesen Punkt: Bei einer lebenslangen Rente stellt sich die Frage, ob Frau und Mann, unabhängig von der Lebenserwartung, Anspruch auf das gleiche Jahreseinkommen haben. Der Staat setzt diese Idee bei der AHV um, denn er kann es sich (noch!) leisten. Doch muss ein Mann beim Kauf einer lebenslangen Privatrente den gleichen Betrag hinblättern wie die erwartungsgemäss länger lebende Frau? „Das ist ja wohl nicht ihre Schuld“, klingt es aus der feministischen Ecke. Und wie so oft geht es ihnen nur um die Frau, nicht um alle.

Im Oxford Dictionary findet sich die folgende Definition: „Feminismus ist die Fürsprache von Frauenrechten auf der Basis der Gleichberechtigung der Geschlechter.“ Diese Grundidee finde ich absolut in Ordnung und sie ist geschichtlich begründbar, denn das Pendel schlug bei uns vor noch nicht allzu langer Zeit weit in die Richtung einer patriarchalischen Gesellschaftsnorm. Zweifellos sind bis heute viele notwendige Anpassungen und Verbesserungen geschaffen worden, gerade weil für Frauenrechte gekämpft wurde. Störend ist lediglich der Deckmantel, dass es sich dabei um Gleichberechtigung zwischen allen handle. Feminismus ist Feminismus.

Momentan sollen Geschlechterquoten die Gleichberechtigung liefern: Aber erzielt eine Quotenregelung wirklich die geforderte Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern? Es gibt unzählige Situationen in Bereichen, bei denen sich die eine oder genauso gut der andere benachteiligt fühlen könnte: Schulsystem, Berufswahl, Militär, Kindesunterhalt, Stellensuche, Sport, etc. Genauer betrachtet ist die Frauenquote ein feministischer Wunsch, welcher sich auf das Ende eines Auswahlprozesses bezieht. Wegen grossem Druck von feministischer Seite fühlen sich Firmen, Universitäten und andere verpflichtet, mehr Frauen aufzunehmen, als sie eigentlich sollten. Es wird oft gesagt, dass es in der Wirtschaft mehr Führungspersonen brauche, die weiblich sind.

Diese Einstellung ist meiner Meinung nach das fundamentale Problem, denn es ist unlogisch, das Endresultat zu definieren, bevor die Anfangssituation studiert wurde. Es bedarf nicht mehr Managerinnen, sondern mehr Frauen, die qualifiziert sind, eine Firma zu leiten. Erreichen kann man dies mit der Schaffung gleicher Chancen. Idealerweise werden beide Geschlechter so früh wie möglich in einer Art und Weise ausgebildet und gefördert, dass sie ihr Potenzial voll ausnutzen und sich optimal entwickeln können. Wenn demzufolge am Anfang einer Wahl zu einer leitenden Position in einer Unternehmung oder einer akademischen Rolle an einer Ausbildungsstätte eine Chancengleichheit entstanden ist, so soll man sich für die besser geeignete Person entscheiden. Oder drängt sich wegen einer Quotenregelung eine Entscheidung für eines der Geschlechter auf? Wie muss sich dann die oder der Benachteiligte fühlen? Das kann nie und nimmer „für alle gerecht“ sein.

Für mich ist klar, dass Feminismus einfach Feminismus ist und für den Kampf der Frauenrechte steht. Solange dieser zur Chancengleichheit beider Geschlechter führt, stehe auch ich voll und ganz dahinter.

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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend-schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer (r.federer@rgzh.ch).

Das Realgymnasium Rämibühl (RG, bis 1976 Realgymnasium Zürichberg) ist ein Langzeitgymnasium. Es ist neben dem Literargymnasium die einzige öffentliche Schule des Kantons Zürich, die einen zweisprachigen Bildungsgang in Verbindung mit dem International Baccalaureate anbietet, wobei die Fächer Geographie, Biologie und Mathematik auf Englisch unterrichtet werden. Zu den berühmten Schülern gehören Max Frisch und Elias Canetti.

Weitere Informationen finden sich auf der Homepage www.rgzh.ch

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Desmond Tutu, südafrikanischer Bischof und Friedensnobelpreisträge

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Als die ersten Missionare nach Afrika kamen, besassen sie die Bibel und wir das Land. Sie forderten uns auf zu beten. Und wir schlossen die Augen. Als wir sie wieder öffneten, war die Lage genau umgekehrt: Wir hatten die Bibel und sie das Land.

Der geschenkte Marx

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Es ist kurios. Da leben wir in einer Zeit, in der das allgemeine Aufklären und Hinterfragen vor nichts mehr Halt zu machen scheint und man sich zum Beispiel auch öffentliche Kunstwerke, Statuen, Denkmäler, sogar Gedichte vornimmt, um nach ihrer Opportunität oder Daseinsberechtigung zu fragen. In eben dieser Stimmung enthüllt man in der schönen Stadt Trier – unter Jubel- und Protestgeschrei – eine 5,5 Meter hohe Bronzebüste. Sie stellt den berühmten und berüchtigten Sohn der Stadt dar: Karl Marx, geboren vor 200 Jahren, am 5. Mai 1818.

Es war unterhaltsam, sich in die zahllosen Verbeugungen und Verbiegungen hineinzulesen, die zum Anlass des Geburtstages in den Medien weltweit verbreitet wurden. Amüsant zu verfolgen, wie Altmarxisten trotzig am „Kapital“ festhielten, das sie vielleicht sogar gelesen hatten, während sich jüngere Nachfolger überaus wortreich in der Kunst übten, Marx vom real vermurxten Marxismus sowjetischer oder nordkoreanischer Prägung zu trennen, für den man den Namensgeber nicht verantwortlich machen könne.

Dass Trier jetzt einen bronzenen Marx besitzt, verdankt die Stadt ausgerechnet China, einem Land, das es versteht, die marxistische Staatsreligion so zu verformen, dass sie sich in manchen Bereichen vom niederträchtigsten Kapitalismus nicht mehr unterscheidet. Ein chinesischer Bildhauer hat die Figur des linken Vordenkers geschaffen. Triers Oberbürgermeister hofft auf wirtschaftlichen Aufschwung. Marx soll chinesische Touristenströme in die Stadt lotsen.

Als Liebhaber der griechischen Mythologie würde ich da zur Vorsicht raten, die Statue genau ins Visier nehmen und nachschauen, ob nicht ein verborgenes Türchen in sie hinein- beziehungsweise aus ihr heraus führt. Haben sich die schlauen Chinesen vielleicht an das hölzerne Pferd erinnert, dass einst Troja zum Verhängnis wurde? Und schicken sich an, dem geschenkten Marx demnächst zu entsteigen, um dem Klassenfeind an den Kragen zu gehen?   

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Mahatma Gandhi

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Die Grösse und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie die Tiere behandelt.

Trump, roi du pétrole

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On ne parle que très peu du pétrole dans la crise nucléaire iranienne. Les journaux titrent sur la dénonciation de l’accord de 2015 par le gouvernement américain, son impact sur les relations internationales, les risques d’une guerre. Mais beaucoup ne disent mot de l’enjeu pétrolier. Ce dernier préside pourtant à la décision de Washington. 

Le prix de l’or noir a plus que doublé au cours des deux dernières années, mais cette situation ne profite pas à tous les pays producteurs de la même manière. L’Arabie saoudite engrange les dividendes de la manne pétrolière, les Etats-Unis aussi. Ceux-ci sont devenus des exportateurs de première taille grâce à l’extraction de schiste, coûteuse et polluante, et comptent damer le pion à Gazprom en concurrençant le géant russe sur sa propre réserve de chasse, l’Europe. 

L’Iran pouvait croire à un retour de balancier grâce à l’accord sur le nucléaire de 2015, qui lui permettait de reprendre les exportations de brut. Le retour à l’embargo décrété par Trump et ses amis des majors du pétrole compromet l’édifice difficilement construit. Mais le dindon du vaste jeu de dominos pétrolier de cette année 2018 est aussi sans conteste un autre «ennemi» de Washington, le Venezuela. Sur le papier une reprise des cours avantage le pays bolivarien qui dispose des plus grandes réserves de pétrole au monde. En réalité Caracas n’en bénéficie pas du tout car sa production a chuté de manière drastique. L’entité qui gère ses hydrocarbures subit un imbroglio dont les causes demeurent obscures et le Venezuela n’est plus que l’ombre de lui-même sur l’échiquier de l’exportation de brut.

L’affaire iranienne jette une lumière crue sur la stratégie géopolitique américaine depuis l’accession à la présidence de Donald Trump. En dépit d’apparences chaotiques, elle est d’une cohérence redoutable. Elle ne s’embarrasse surtout d’aucun scrupule. Cette communication basée sur la violence à état brut la différencie de l’administration précédente, laquelle soignait la forme mais ne poursuivait pas des objectifs fondamentalement différents au Moyen-Orient.

Dans le jeu pétrolier, les Etats-Unis redeviennent les maîtres et la Russie est loin d’avoir dit son dernier mot. L’Europe dans tout ça? Comme lors d’un match entre Federer et Nadal, elle compte les points.

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La Méduse
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Stafetten-Regierung?

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In die festgefahrenen Konsultationen um eine neue italienische Regierung ist wieder Bewegung gekommen. Die Cinque Stelle und die Lega verhandeln zurzeit auf Hochtouren. Bis Montag wollen sie eine Einigung erzielt haben. „Es läuft gut“, sagte Matteo Salvini, der Chef der rechtspopulistischen Lega, am Donnerstag. „Ein wichtiger Moment für Italien“, antwortete Luigi Di Maio, der Vorsitzende der Protestpartei Cinque Stelle.

Die wichtigste ungelöste Frage ist: Wer wird Ministerpräsident? Sowohl Salvini als auch Di Maio erheben Anspruch auf das Amt. Di Maio argumentiert, er sei der Anführer der stärksten Einzelpartei, deshalb stehe ihm das Amt zu. Salvini sagt, die drei Parteien des Rechtsbündnisses, also die Lega, Berlusconis Forza Italia und die postfaschistischen Fratelli d’Italia, hätten zusammen am meisten Stimmen erhalten. Und er, Lega-Chef Salvini sei Anführer der stärksten Partei im Rechtsbündnis, deshalb müsse er Ministerpräsident werden.

Matteo Salvini am Donnerstag in Rom (Foto: Keystone/EPA/Giuseppe Lami)
Matteo Salvini am Donnerstag in Rom (Foto: Keystone/EPA/Giuseppe Lami)

Ein Dritter – oder beide?

In Rom wird zurzeit wild spekuliert. Möglich wäre, dass sich die beiden Streithähne auf einen dritten Kandidaten einigen. Zur Diskussion steht der 51-jährige Lega-Abgeordnete Giancarlo Giorgetti. In Italien kennt ihn zwar kaum jemand, aber die Cinque Stelle könnten offenbar mit ihm leben. Auch der Diplomat Giampero Massolo liegt offenbar im Rennen. Er war Büroleiter unter Berlusconi und ist jetzt Präsident des Schiffbauunternehmens Fincantieri. Salvini, ein Freund Marine Le Pens und der AfD, würde dann Innenminister. Di Maio erhielte das Amt des Aussenministers – obwohl er mit der Geografie auf Kriegsfuss steht und kein Wort einer anderen Sprache beherrscht.

Doch jetzt taucht eine neue Hypothese auf: Di Maio und Salvini könnten eine Art Stafetten-Regierung bilden: Während der einen Hälfte der Legislatur wäre Di Maio Ministerpräsident, während der andern Hälfte Salvini. Ob Staatspräsident Sergio Mattarella, ein einstiger Verfassungsrichter, einer solchen Lösung zustimmen würde, ist allerdings sehr fraglich.

Noch sind dies alles reine Spekulationen. Sollte es zu einer Einigung kommen (wie diese auch immer aussehen möge), wollen die Cinque Stelle ihre Basis online darüber befinden lassen. An der Abstimmung dürfen nur eingeschriebene Cinque-Stelle-Mitglieder teilnehmen. Viele von ihnen sind erfahrungsgemäss politisch recht unbedarft. Sie, und nicht das Volk, könnten also über die neue Regierung entscheiden. Immerhin: eine neuartige Variante von Demokratie.

Berlusconi macht den Weg frei

Dass es jetzt überhaupt zu einer Regierung zwischen den Cinque Stelle und der Lega kommen könnte, liegt an Silvio Berlusconi. Er war bisher das Haupthindernis für eine Regierungsbildung. Am Mittwochabend hat er das Handtuch geworfen.

Die Cinque Stelle wollten mit der Lega nur dann eine Koalition eingehen, wenn Berlusconis Forza Italia ausgeschlossen wird. Die 5 Sterne, die sich mit sauberer Weste präsentieren möchten, wollten nicht mit dem mehrmals vorbestraften Berlusconi zusammen regieren.

Doch Lega-Chef Salvini konnte Berlusconi nicht opfern. Er fürchtete, das Rechtsbündnis würde dann auseinanderbrechen, was seine, Salvinis Position, arg schwächen könnte.

Jetzt hat Berlusconi klaren Tisch gemacht. Er werde nicht für eine Lega-Stelle-Regierung stimmen, aber er werde auch nicht das Veto einlegen. Der bald 82-Jährige hat mehrmals klargemacht, dass er sowohl seinen Gegenspieler Salvini als auch die Cinque Stelle („schlimmer als die Kommunisten“) hasst. Mit seinem Rückzug hat er Salvini ermöglicht, erneut mit den Sternen zu verhandeln.

Sachthemen sind zweitrangig

Besorgte Beobachter in Rom weisen darauf hin, dass die Cinque Stelle und die Lega völlig verschiedene Standpunkte haben, die kaum auf einen Nenner zu bringen sind. Zudem haben beide Parteien immer wieder abstruse, völlig unrealistische Vorstellungen, die sie ständig revidieren. Ausserdem ist das Personal der Cinque Stelle grösstenteils politisch völlig unerfahren. Ein Beispiel dafür ist die Römer Bürgermeisterin Virginia Raggi, ein Mitglied der 5 Sterne. Sie wurstelt seit zwei Jahren vor sich hin.

In Italien stehen dringende Probleme an, die eine Regierung lösen muss. Doch inhaltliche Fragen sind beim Gerangel um eine neue Regierung bisher nur am Rande zur Sprache gekommen. Die beiden Parteichefs haben vor allem eines im Sinn: Sie wollen an die Macht. Was sie dann mit dieser Macht tun werden, interessiert sie im Moment nur zweitrangig.

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Esther Kinsky und das Blau Fra Angelicos

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„Geländeroman“ nennt Esther Kinsky ihr jüngstes Werk „Hain“, für das sie im März mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2018 ausgezeichnet wurde. Dem aktuellen Buch sind Romane, Lyrikbände und Essays vorausgegangen. Ursprüngliches Arbeitsfeld der am Rhein aufgewachsenen Autorin ist jedoch das Übersetzen: Sie hat Slavistik studiert und lange in England gelebt. Mit Übersetzungen aus dem Polnischen, Russischen und Englischen hat sie ihren Ruf in der Literaturszene begründet. Und nicht zu vergessen: Esther Kinsky ist eine ausgezeichnete Fotografin und hat ihre Bilder auch publiziert, so etwa im Gedichtband „Naturschutzgebiet“ (2013).

Esther Kinsky (Foto: Suhrkamp, © Heike Steinweg)

Das Fotografieren spielt in ihren Romanen mehrfach eine Rolle. In „Hain“ benutzt die Ich-Erzählerin eine analoge Kamera. Die belichteten Filme sind Sinnbilder für die beim Reisen gesammelten Erfahrungen, die erst durch die spätere Transformation im Entwicklerbad der Sprache erkenn- und lesbar werden.

Die Reisen und Aufenthalte in fremden Gegenden generieren zwar stets den Stoff von Kinskys Romanen. Trotzdem ist sie keine Reiseschriftstellerin; ihre Kunst des Beobachtens von Umwelt und Landschaft stempelt sie auch nicht zur Naturschriftstellerin. Was ihre Bücher besonders und einzigartig macht, ist ihre Fokussierung auf die Entstehung von Sprache. Esther Kinskys Prosa ist das Ergebnis eines Er-Findens von Wirklichkeit. Um diesem Prozess Raum zu geben in ihren Texten, handeln diese zumeist von Unscheinbarem, Beiläufigem. Ihre Aufenthalte und Reisen spielen sich stets in Randzonen, an Unorten, in vergessenen Revieren ab.

„Banatsko“ und „Am Fluss“

Im Roman „Banatsko“, erschienen 2011, war es das serbisch-ungarisch-rumänische Grenzgebiet, wo in vergessenen Dörfern und verschlafenen Städtchen die Zeit träge dahinfliesst. Bei diesem Buch hat Esther Kinsky einen Ton gefunden, der aufhorchen liess. Sie spricht von fast nichts, und das auf eine Weise, die einen nicht loslässt. Spätestens dieser Roman machte klar, dass da eine grosse Schriftstellerin angetreten war. Sie hatte mit der Nobelpreisträgerin Herta Müller nicht nur die beschriebene Ecke Europas gemeinsam; es zeigte sich auch eine Verwandtschaft in der schriftstellerischen Haltung und sprachlichen Dichte.

Die zwanzig in London verbrachten Jahre Esther Kinskys sodann sind aufgehoben in „Am Fluss“ (2014). Der Titel meint den River Lea, das am nordöstlichen Rand der Metropole zwischen Industriebrachen, unter Verkehrsbauten und in der Zone von nicht mehr Stadt und noch nicht Land dahinfliessende proletarische Gewässer. Vom Glamour der Hauptstadt mit ihrer extravaganten Kultur und überdrehten Finanzbranche ist hier nichts zu spüren. Der Roman zeigt die Viertel der Nobodies, deren Läden und Kneipen, die verregneten Strassen und den Blick aus Bussen mit beschlagenen Scheiben. Die Bedeutungsarmut der Objekte lenkt die Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmung, und so schafft Esther Kinsky eine Sprache, in der nicht nur das Gesehene, sondern zugleich auch das Sehen erfasst ist.

Kalte Krim und bitterer Tod

Mit ihrem Mann, dem wie sie als Übersetzer tätigen Engländer Martin Chalmers, bereiste Esther Kinsky 2013 die Krim – eine Gegend, von der damals, vor der russischen Okkupation, niemand sprach. Das als Gemeinschaftswerk der beiden geplante Buch „Karadag – Oktober 13. Aufzeichnungen von der kalten Krim“ erschien 2015, nachdem Chalmers gestorben war. Es porträtiert ein zerrüttetes, gelähmtes Land. Überall Niedergang, Zerfall, Perspektivlosigkeit, stumpfe Menschen. Trotzdem fasziniert das Buch, und zwar mit der vor allem bei Esther Kinskys Texten zu spürenden Kraft der Hinwendung zu Menschen, Begebenheiten und Szenerien.

Vielschichtig schreiben heisst bei Esther Kinsky nicht kompliziert schreiben. Ihre Sprache erscheint vielmehr auf den ersten Blick einfacher als sie tatsächlich ist. „Hain“, das neue Buch, spiegelt den Verlust des Gefährten. Der Verstorbene heisst hier „M.“, als ob mit seinem Bild sich auch sein Name verflüchtigte. Er taucht in Träumen der Erzählerin auf, die – sie ist natürlich identisch mit der Verfasserin – um die eigene Rückkehr ins Leben, in den Alltag kämpfen muss. So schafft sie es erst nicht, einen Film in die Kamera einzulegen, was sie zuvor Hunderte Mal gemacht hat. In Andeutungen wie dieser findet sich der Schlüssel zum Verständnis der eigentümlichen Benommenheit, die vor allem über den ersten Kapiteln des Buchs liegt.

Geopoetik und Condition humaine

„Hain“ handelt vordergründig von mehreren Reisen nach Italien: ins ziemlich ausgestorbene Städtchen Olevano Romano östlich von Rom, nach Chiavenna, ins menschenleere Po-Delta, nach Ravenna; hinzu kommen Erinnerungen an Italienreisen in der Kindheit mit dem auf die Etrusker versessenen Vater. Diese Orte und Gegenden bekommen als Sprachwelten Form und Tonalität. Esther Kinsky versieht die Landkarten ihres Lebens mit literarischen Markierungen. Die für „Hain“ erfundene Gattungsbezeichnung „Geländeroman“ steht für ihr schriftstellerisches Verfahren, das man als Geopoetik bezeichnen könnte. Sie ist ihre Weise, sich mit der eigenen Existenz in der vorfindlichen Welt sprachlich auseinanderzusetzen.

Dass Esther Kinsky auch Lyrikerin und Essayistin ist, zeigt sich in ihrer Prosa am Hang zu Dichte und Reflexivität. Sie braucht gar nicht Fakten anzuhäufen, um italienische Zustände sichtbar zu machen; sie schafft dies mit ihrem Rückzug in die tiefste Provinz und ihrer beiläufigen Genauigkeit bei deren Schilderung. Esther Kinskys Aufmerksamkeit gilt bevorzugt dem scheinbar Belanglosen, dem Atmosphärischen und Flüchtigen. Und gerade mit ihrer vom Leiden am Verlust beeinträchtigten Wahrnehmung erfasst sie die defizitäre Welt, die sie umgibt, oft mit erst recht hellwacher Sicherheit. Sie bleibt versponnen in den Schmerz über den Tod ihres Mannes und gefangen in quälenden Erinnerungen an ihren Vater, der ihr zugleich nah und fremd war. Und doch ist sie offen für Orte und Menschen. Im Schreiben über ihr Reisen lotet sie das zur Condition humaine gehörende Paradox zwischen Vertrautwerden und Fremdbleiben aus.

Wie ein angedeutetes Erlösungsversprechen taucht in „Hain“ das Blau des Fra Angelico auf. Ihr Vater hat davon erzählt, dass dieser berühmte „kosmische“ Blauton auf den Bildern des Renaissancekünstlers aus feingemahlenem Lapislazuli gewonnen wurde. Es ist die Farbe des Himmels, der Unendlichkeit, der Ewigkeit. Bei einem der Mosaiken von Ravenna entdeckt die Reisende dann einen Farbton, der das Blau des Fra Angelico gewissermassen vorwegnimmt.

Erwähnte Bücher Esther Kinskys:

  • Banatsko. Roman, Matthes & Seitz, Berlin 2011, 243 S.
  • Am Fluss. Roman, Matthes & Seitz, Berlin 2014, 387 S.
  • Karadag – Oktober 13. Aufzeichnungen von der kalten Krim, mit Martin Chambers, Matthes & Seitz, Berlin 2015, 221 S.
  • Hain. Geländeroman, Suhrkamp, Berlin 2018, 287 S.

Foto: Suhrkamp / Insel, © Heike Steinweg

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Körpergehäuse

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Als ich in meiner malerei müde wurde, die natur analysierend darzustellen, suchte ich nach einer realität, die mehr in meinem besitz wäre als die aussenwelt, und fand als solche das von mir bewohnte körpergehäuse, die realste realität am deutlichsten vor …

Maria Lassnig

Es mag eine Platitüde sein: Mit jedem Werk, mit jeder Äusserung entwirft der Künstler oder die Künstlerin ein Bild von sich selbst – auch dann, wenn er dieses Bild mit Absicht verfälscht oder unterdrückt. Unterschiedlich ist allerdings der Grad der Radikalität dieses Eigenbildes.

Kompromisslos geht Maria Lassnig mit dieser grundsätzlichen Ich-Bezogenheit der Kunst um. Ausstellungen ihrer Malereien in St. Gallen (kuratiert von Roland Wäspe) und ihrer Arbeiten auf Papier in Basel (in Zusammenarbeit mit der Albertina kuratiert von Anita Haldemann und Antonia Hoerschelmann) rufen das Werk der Künstlerin, einer der ganz grossen des 20. Jahrhunderts, prominent in Erinnerung und zeigen, wie die Malerin diesem Eigenbild während ihres ganzen Lebens stets neu Konturen gab.

Maria Lassnig spricht, obwohl in ihren Werken sehr häufig sie selber und ihre eigenen Gesichtszüge erkennbar sind, nicht von Selbstporträts, sondern von „Körpergefühl“ oder, in New York, von „body-awareness“, was mit „Körper-Bewusstheit“ wohl am treffendsten übersetzt ist, weil das eine aktive Haltung im Sinne einer wachen Aufmerksamkeit beschreibt. Das erweitert den Begriff: Es geht nicht, wie im Selbstporträt, darum, das möglicherweise objektive Bild ihrer selbst zu entwerfen – auch das ist allerdings eine vertrackte Sache. Es geht darum, aus dem, was ihr am nächsten steht, aus dem eigenen Körper und seinen vielen Wahrnehmungsmöglichkeiten heraus ihren Lebensraum und sich selbst zu erkunden.

Maria Lassnig, fotografiert 2002 von Bettina Flittner
Maria Lassnig, fotografiert 2002 von Bettina Flittner

Zu diesen Wahrnehmungsmöglichkeiten gehört natürlich das Visuelle, aber auch jede Körpererfahrung: Malerei ist Handwerk und mit ihrer gestischen Komponente stets mit dem eigenen Körper und seiner Stellung im Raum verbunden. Aber auch alle Sinne gehören dazu – darunter, wie in der Begegnung mit ihren Malereien unverstellt zu spüren ist, auch das Haptische, die Haut als das grösste Sinnesorgan, dessen vielschichtige Möglichkeiten der Selbst- und Umwelterfahrung kaum in Sprache zu fassen sind. (Maria Lassnig dazu: „Es gibt zu wenig Wörter, deshalb zeichne ich ja.“)

Das Ereignis der Körperempfindung

Mit der Entscheidung, in ihrer Arbeit stets „vom physischen Ereignis der Körperempfindung“ (Maria Lassnig 1994) auszugehen und so der Malerei eine neue Dimension zu eröffnen, nimmt sie im Medium der Malerei vorweg, was in den 1970er und 1980er Jahren etwa Friederike Pezold und Valie Export mit Fotografie und Video erprobten, aber auch, was manche „Junge Wilde“ in den 1980ern in eher kurzlebigen malerischen Aktionen und bisweilen auch Exzessen feierten. Zudem lässt sich in ihrem kompromisslos gradlinigen Werk mancherlei von dem spüren, mit dem sich viele feministischen Ansätzen verpflichtete Künstlerinnen in die Kunst der 1990er Jahre einschrieben. Beispiele unter vielen sind Cindy Sherman, aber auch Tracey Emin und Sarah Lucas oder, auch in jüngster Zeit, Elke Krystufek.

In der St. Galler Ausstellung, die sich auf knapp 40, aber sorgfältig ausgewählte Werke aus der Zeitspanne von 1950 bis 2007 beschränkt, lässt sich all das gut nachvollziehen. Schon in einigen der tastenden Anfängen um 1950 (da ist Maria Lassnig allerdings bereits 31 Jahre alt), als sie sich mit der in Paris erlebten informellen Malerei auseinandersetzt, wird spürbar, dass ihre Malerei aus freier Gestik heraus entsteht. Nur während kurzer Zeit malt sie rational Konstruiertes. Bald bricht, an der Grenze zwischen auf den eigenen Körper bezogener Gegenständlichkeit und freier Abstraktion, emotionale und doch kontrollierte Gestik durch, mit der sie, sehr früh, ihre Erfahrungen mit Geschlechterbeziehungen formuliert.

Paradigmatisch wirken in diesem Sinne „Zwei nebeneinander/Doppelfiguration“ von 1961 oder das „Dreifache Selbstporträt“ (1971), in dem Maria Lassnig sich gleich zweimal als frontalen Akt zeigt – einmal sitzend, einmal, als sei sie eben aufgestanden. Zwischen diesen beiden Figuren sehen wir die Seitenansicht eines Aktes in Bewegung, vielleicht ein Bild im Bilde. Paradigmatisch in seiner ambivalenten Selbstdarstellung wirkt auch „Generationenfusstritt“ (1998), die Schilderung einer chaotisch wirkenden Beziehung – vielleicht die der gross ins Bild gesetzten Künstlerin zu gleich mehreren Schülern.

Entschiedener Positionsbezug

In manchen ihrer Bilder zeigt Maria Lassnig ihren Körper oder Teile davon als Wahrnehmungsorgan – mit riesiger Nase, mit nur einem Auge, tänzerisch balancierend im Raum. Eine Malerei von 1987 liesse sich lesen als Körperquerschnitt und damit als Blick in den eigenen Innenraum. Andere Bilder lassen erahnen, dass sich die Künstlerin die Leinwand nicht immer auf der Staffelei oder an der Wand vornimmt, sondern auch auf dem Boden, und dass sie als Malerin ganz verschiedene Positionen einnimmt – mal sitzend, mal liegend: Das Erleben ganz unterschiedlicher Beziehungen des eigenen Körpers zum Raum und zum Bild fliesst in das Werk ein.

Maria Lassnigs Farbenwelt ist über all die Jahre erstaunlich konstant. Schwarz fehlt ganz, helles Grün, Gelb, Blau herrschen vor. Der Umgang mit Farbe und Form erfolgt auf weite Strecken unbekümmert und spontan – und doch sind die oft grossen Formate bewältigt, die Proportionen stimmen, die Farben fügen sich zu spannungsvollen Klängen, die Räume, in die sie ihre Figuren, sich selber also, setzt, vibrieren. Bereits als junge Künstlerin, das belegen die bereits in den frühen 1940er Jahren entstandenen Selbstporträts der 23-Jährigen, ist Lassnig eine Könnerin, die ihr Handwerk mit Virtuosität zu handhaben versteht. Und fast macht es den Anschein, als suche sie mit ihrer Unbekümmertheit ihre Virtuosität zu überdecken, als kämpfe sie, ihrer inhaltlichen Ausrichtung entsprechend, gegen das Glatte, Vollendete, Perfekte: Maria Lassnigs Malerei ist ein bewusster und entschiedener Positionsbezug auch innerhalb der Kunstwelt ihrer Gegenwart.

Arbeiten auf Papier in Basel

Dass das Kunstmuseum Basel zeitgleich mit St. Gallen Maria Lassnig in Erinnerung ruft, ist nicht Zufall, sondern bewusste Koordination: In Basel wird der Blick auf das Werk der mehrheitlich als Malerin rezipierten Künstlerin ausgeweitet. Hier sind Zeichnungen und Aquarelle zu sehen und damit eine weniger bekannte, aber dennoch wichtige Komponente im Schaffen Lassnigs. Sie selber hat die Bedeutung dieser Medien unterstrichen: „Die Zeichnung ist dem Augenblick am nächsten.“ Ihre Papierarbeiten sind weit davon entfernt, lediglich Vorstufen der Malereien zu sein. Sie haben, auch wenn sie sich thematisch im gleichen Spektrum bewegen wie die Malereien, den Rang eigenständiger künstlerischer Äusserungen.

Lassnigs Arbeiten auf Papier sind schon früh teils linear und inhaltsbestimmt (in Bleistift oder Tusche), teils farbbetonte flächige Aquarelle. In beiden wird der Wille der Künstlerin deutlich, ihrer „Körper-Bewusstheit“ Ausdruck zu geben. Die Bleistiftzeichnung lebt von einem gegenüber der Malerei neuen Realismus und von einer Präzision der Selbstdarstellung. Die Aquarelle leben von einer Freiheit und Unbekümmertheit auch im Umgang mit der Farbe, wie es in der Malerei kaum möglich ist.

Maria Lassnig: Be-Ziehungen. Kunstmuseum St. Gallen. Bis 23.9.

Maria Lassnig: Zwiegespräche. Kunstmuseum Basel Neubau. Bis 26.8. Katalog gemeinsam mit Albertina Wien.

Maria Lassnig

Geboren 1919 in Kärnten, studierte Maria Lassnig in den 1940er Jahren an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Paris-Reisen (gemeinsam mit Arnulf Rainer) anfangs der 1950er Jahre und Kontakt zu André Breton und Paul Celan. 1954 studiert sie in Wien weiter und hat Kontakte mit der „Wiener Gruppe“ (Wiener, Achleitner, Rühm, Artmann). Ab 1974 und bis 1980 in New York. Hier Bekanntschaft mit feministischen Künstlerinnen wie Louise Bourgeois, Joan Mitchell, Martha Edelheit und Carolee Schneemann. 1980 zusammen mit Valie Export Gast im Pavillon Österreichs an der Biennale Venedig und Professur für Malerei an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, wo sie auch ein Studio für Zeichentrickfilm einrichtet. Grosser Einfluss auf die junge Kunst in Österreich. 1988 Grosser Österreichischer Staatspreis. In der Folge Ausstellungen in ganz Europa. 1989 zeigte der damalige Luzerner Museumsdirektor Martin Kunz Maria Lassnig in der Ausstellung „Mit dem Kopf durch die Wand“ erstmals in der Schweiz. Später folgen in der Schweiz Ausstellungen in Zürich, Basel und Bern. 2003 erhält sie in den Roswitha-Haftmann-Kunstpreis Zürich. Maria Lassnig stirbt 2014 in Wien.

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John Steinbeck, amerikanischer Schriftsteller, 1902–1968

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Auf jede Frage eine Antwort wissen nur Dummköpfe.

Niedertracht

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Niedertracht ist durch und durch destruktiv. In ihr steckt die Rache der vermeintlich zu kurz Gekommenen. Sie wollen schaden um des Schadens willen, sie zerstören, weil die Zerstörung ihnen Lust bereitet. Darin liegt ihr „niederes Trachten“.

Mit dem Schaden stillt der Niederträchtige nicht nur sein Rachebedürfnis. Vielmehr zeigt er in seinem Triumph, „wer er ist“. Die vermeintlich zu kurz Gekommenen betreten die Bühne und stellen ihre Destruktivität zur Schau: Schaut einmal, was wir alles kaputtmachen können. Mit uns muss man rechnen!

Auf der Bühne macht der Niederträchtige alle Werte lächerlich, die bis zu seinem Auftritt gegolten haben. Dabei steigert er sich in eine Radikalität hinein, in der er mehr und mehr den Hanswurst gibt. Je stärker er sich selbst unmöglich macht, desto grösser seine Wirkung und die Befriedigung seiner Anhänger. Denn seine Botschaft lautet: Nichts gilt mehr!

Niedertracht hat etwas Absolutistisches. Niemand ausser dem Anführer der niederträchtigen Meute soll festen Boden unter den Füssen haben. Die Meute johlt, wenn der Meister der Niedertracht wieder einen Ahnungslosen in den Orkus jagt.

Der Niederträchtige zerstört die Logik der Sprache und damit die Möglichkeit jeder Argumentation. Denn der Niederträchtige kennt als einziges Subjekt nur sich selbst. Die Perspektive eines anderen kann er nicht einnehmen. Er hat buchstäblich keinen Ansprechpartner, mit dem er in einen sprachlichen Austausch von Argumenten treten könnte.

Für den Niederträchtigen gibt es nur ergebene Anhänger und nichtsnutzige Feinde. Ein Drittes gibt es nicht. Deswegen schwankt er zwischen totaler Abwertung oder massloser Überhöhung des anderen: In beiden Fällen ist der andere kein reales Subjekt, dessen Ansprüche zur Kenntnis genommen werden müssten.

Der Niederträchtige kann sich seine eigene Grösse nur in dem Masse vorstellen, wie er andere klein macht. Da er der ewig Gekränkte ist, muss er seine Wut wieder und wieder herausschreien. Und keine Geste ist für ihn gross genug. Ihm kommt nicht der Gedanke, wie lächerlich sein Gehabe wirken könnte. Lächerlich sind immer nur die anderen, eben die, auf die er seine ganze Niedertracht richtet.

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Walter Bagehot, britischer Ökonom, Herausgeber des „The Economist“, 1826–1877

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Der grösste Genuss im Leben ist, das zu tun, von dem die Leute sagen, dass du es nicht tun kannst.

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