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Andrea, die Trümmerfrau

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Ein eher im Verbalen angesiedelter Vorgang während des sozialdemokratischen Sonderparteitags in der Wiesbadener Rhein-Main-Halle wirft ein geradezu bezeichnendes Schlaglicht auf diese Stimmung. Im Normalfall werden neugewählte Führungspersönlichkeiten von Delegierten und auch Journalisten als „Hoffnungsträger“, „Vertrauensgeber“ oder (schon ein wenig abgeschwächt) auch „Mutmacher“ bezeichnet. Im Falle der 47-jährigen, frisch gekürten Obergenossin machte hingegen das „schmückende“ Substantiv „Trümmerfrau“ die Runde. Und das trifft die Situation, in der sich die SPD befindet, ziemlich akkurat. Zumindest die älteren Generationen in Deutschland verbinden mit dem Begriff etwas ganz Konkretes – den Mythos um das Heer der Frauen nämlich, die nach dem Krieg den Schutt der Zerstörung zu beseitigten halfen.

Symbol und Wirklichkeit

Natürlich ist das ein Symbolbild. Und dennoch haftet etwas durchaus Reales daran. Es besteht ja gar kein Zweifel, dass die einst stolze Sozialdemokratie (die zu Beginn der 70er Jahre mit Willy Brandt voran sogar einmal die sieggewohnten Unionsparteien zu überflügeln vermochte) vor einem Haufen Trümmer steht. Und das keineswegs erst nach der katastrophalen 20,5-Prozent-Pleite bei der Bundestagswahl im vorigen September. Der lange Weg des Abstiegs war bereits gesäumt mit Namen und Personen, von denen heute noch mit Hochachtung gesprochen wird – Helmut Schmidt zum Beispiel, Johannes Rau oder Hans-Jochen Vogel.

Nun also soll es Andrea Nahles richten, die junge Frau aus der rauen Eifel, gross geworden im Schatten des legendären Nürburgrings. Ein Formel-1-Start – um im Bild zu bleiben – war mit dem Wiesbadener Konvent freilich nicht verbunden. Wer mit dem zweitschlechtesten Ergebnis in der Parteigeschichte ins Rennen geschickt wird, der muss schon ungewöhnlich viel Vertrauen in das Gesamtteam setzen, um überhaupt an eine Erfolgsaussicht zu glauben. 66,35 Prozent der gültigen Stimmen konnte Nahles auf sich vereinen, also nur zwei Drittel der Delegierten hinter sich versammeln. Das hatte – mit 63 Prozent – einst nur der Saarländer Oskar Lafontaine unterbieten können, als er (übrigens damals unterstützt von der Juso-Vorsitzenden Andrea Nahles) auf dem Mannheimer SPD-Parteitag 1995 den seinerzeitigen Parteichef Rudolf Scharping handstreichartig stürzte. Nur zur Erinnerung: 1999, als Bundesfinanzminister unter Gerhard Schröder, schmiss Lafontaine ohne jede Ankündigung alle Ämter hin, verliess seine Partei und wechselte zur einstigen DDR-Einheitspartei SED, die sich (nach dreimaliger Umbenennung) mittlerweile als „Die Linke“ bezeichnet.

Zwischen Heilsglauben und Depression

Die jetzigen  66,3 Prozent für die neue Parteichefin spiegeln im Prinzip genauso die innerparteilich herrschende Irrationalität wider wie ein Jahr zuvor die danach katastrophal verlaufenen 100 Prozent für den unglückseligen Interims-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Mit anderen Worten: Die Genossen (und natürlich auch Genossinnen) sind hin- und hergerissen zwischen  Heilsglauben und Depression. Es muss ja auch für einen echten „Sozi“ (Originalton Helmut Schmidt) unerträglich sein, wenn trotz aller Bemühungen, wieder Ruhe in den Laden zu bringen und Zuversicht einzupflanzen, die jüngsten Umfrage-Ergebnisse mit 17 Prozent noch weiter in den Keller gerutscht sind. Zumal die Zweifel an und die Gegnerschaft zu der ja nun wirklich nicht aus Freude getroffenen Entscheidung über den erneuten Eintritt in eine Grosse Koalition in der Partei unverändert – und das heisst spaltlerisch – vorhanden sind.

Andrea Nahles hat nun genau diesen Zweiflern versprochen, es werde ihr gelingen, die Partei trotz der Partnerschaft mit CDU und CSU in der Berliner Regierung zu „erneuern“. Das ist ja seit der Bundestagswahl – und keineswegs nur bei der SPD – das Zauberwort: „Erneuerung“. Bloss – so richtig dahinter kommt man nicht, was denn nun eigentlich konkret damit gemeint sei. Personenbezogen kann es ja wohl kaum sein. Denn wirklich neue Gesichter tauchen in der neuen Parteiführung nicht auf. Und was die Karriere anbelangt, so reiht sich auch Nahles in die inzwischen längst überall übliche Phalanx der von drei Sälen bestimmten Lebens- und Politikverläufen ein: Kreiss-Saal, Hörsaal, Plenarsaal. Mit anderen Worten: Grossraumbüros oder Produktionshallen wurden erfolgreich gemieden.

Zurück zu den „alten Werten“?

Natürlich wird die Erneuerungsdiskussion immer sehr schnell mit Füllbegriffen beladen – Gerechtigkeit, Solidarität, Fürsprecher der „arbeitenden Bevölkerung“, Sprachrohr der „kleinen Leute“ … Das klingt gut und wird auch keinen Widerspruch hervorrufen. Bei Fragen nach konkreten Antworten ist es allerdings nicht mehr so einfach. Klar, bei einer Partei, die aus der Industrialisierung und den damit verbundenen Problemen hervorgegangen ist, möchte man gern wieder an alte Werte anknüpfen. Bloss, die moderne Arbeitswelt besteht nicht mehr aus Kohleminen und Stahlwerken. Gerechtigkeit lässt sich in derart vielschichtigen Gesellschaften wie den unsrigen ganz gewiss nicht mehr eindimensional definieren. Und Solidarität? In einer Zeit, in der die Globalisierung und weltweite Vernetzung in atemberaubender Geschwindigkeit vonstatten gehen, erscheinen nationale Vorschläge nicht wie überzeugende Lösungen. Gerade deshalb aber täten sich hier neue, moderne Wege in eine bessere Zukunft der „alten Tante“ SPD auf.

Nur – träfe das auf Gegenliebe in der Partei? Wo stünden dabei die mächtigen Gewerkschaften, wie etwa die IG Metall? Die sich, weiss Gott, bequem eingerichtet hat in den Führungsetagen von Konzernen wie VW und munter deren Tricksereien und Boni-Regelungen mitmachen. Und nicht nur das. Die SPD ist nicht nur traditionsgemäss eine Partei des Ausgebens, also des Verteilens sozialer Wohltaten. Aber nicht einmal das tut sie mit Freude. Egal, was die Genossen zum Beispiel während der vergangenen Wahlperiode als Regierungspartner durchgesetzt hatten – in der öffentlichen Darstellung war es ihnen keine Erfolgsmeldung wert, sondern in aller Regel ein weiteres Jammern über die Ungerechtigkeit der Welt, die falsch verteilten Steuern oder die Widerborstigkeit des Regierungspartners.

So ist die Lage

Das ist, vereinfacht gesagt, die Lage, in der die neue, weil Partei- und Fraktionschefin zugleich, mächtige Frau der deutschen Sozialdemokratie antritt, zunächst die innerparteiliche Stimmung und dann auch wieder die öffentliche Zustimmung zu verbessern. Andrea Nahles ist, keine Frage, eine Kämpfernatur. Die braucht sie aber auch, zumal es keineswegs nur darum geht, die Niedergeschlagenheit in der SPD wieder zu überwinden. Es herrscht im Lande ja insgesamt eine nicht gerade rosige Stimmung. Wer nur mal kurz durch die (a)sozialen Medien wie etwa facebook streift, hat Mühe, keine Depression bei sich aufkommen zu lassen. Er könnte leicht den Eindruck gewinnen, nicht in einem (im internationalen Vergleich) ziemlich geordneten und überhaupt durchaus vorzeigbaren Land zu leben, sondern in einem chaotischen, ungerechten, total überwachten Gebilde.

Tatsache ist auf jeden Fall, dass innerhalb der Gesellschaft erhebliche Unsicherheiten vorhanden sind. Anders wären die bei den Wahlen in den vorigen Jahren erkennbaren Massenabwanderungen von den traditionellen Volksparteien hin zu den Propheten der scheinbar einfachen Antworten auf schwierige Fragen im linken wie rechten politischen Spektrum nicht zu erklären. Auch dieses Problem gehört zu dem Brocken, deren Beseitigung von der Trümmerfrau Andrea Nahles jetzt verlangt wird.

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Bonn
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Unverstellte Leidenschaft

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Als Alban Berg 1935 starb, hinterliess er – zehn Jahre nach der Uraufführung seiner ersten Oper «Wozzeck» in Berlin – seine zweite Oper «Lulu», leider unvollendet. Vom dritten Akt lag neben dem Particell nur ein knappes Drittel als ausgeführte Partitur vor. In den Folgejahren behalf man sich mit fragmentarischen Aufführungen. Da Berg 1934 für den konzertanten Gebrauch eine «Lulu-Suite» zusammengestellt hatte, spielte man neben den zwei vollendeten Akten meist Teile der Suite als Abschluss.

Im Jahr 1979 fand in Paris die Uraufführung der «Lulu» mit dem von Friedrich Cerha vollendeten dritten Akt statt – dirigiert von Pierre Boulez, in der Inszenierung von Patrice Chéreau. Diese Ergänzung ist auf der Basis der bestehenden Materialien von Cerha so professionell und respektvoll gemacht, dass sich die dreiaktige Fassung von «Lulu» inzwischen weltweit durchgesetzt hat.

Kampf der Geschlechter

Der Geschichte der Lulu liegen die beiden Frank Wedekind Dramen «Erdgeist» (1898) und «Die Büchse der Pandora» (1902) zugrunde. 1913 fasste Wedekind die beiden Stücke zum fünfaktigen «Lulu-Drama» zusammen. Bereits 1905 hatte Karl Kraus in Wien eine Fassung realisiert, in welcher er gegen die Eingriffe der Zensur Lulu als Verkörperung «der gehetzten, ewig missverstandenen Frauenanmut» verteidigte. Diese Vision weiblicher Natürlichkeit und weiblichen Liebeshungers in einer von Männern beherrschten Gesellschaft griff Alban Berg auf, um in den Lebensstationen der Lulu den Opfergang einer Frau zu gestalten, die sich vom Malermodell zur Ehefrau, Mätresse, Femme fatale, Tänzerin, Zirkusathletin, Mörderin des Ehemannes, Gefangenen, Flüchtigen, Bordelldame und – als Schlussstation – zur Prostituierten in einer Londoner Dachkammer entwickelt.

In der von männlicher Besitzgier und sexueller Gewalt dominierten Welt gibt es für den naturhaften weiblichen Drang nach Zugehörigkeit, Anerkennung und Selbstfindung nur den Weg in die Abhängigkeit und in den Untergang, letztlich in die Selbstzerstörung. Lulu ist wahrhaftig kein Unschuldsengel, sondern eine so ehrliche wie raffinierte Frau, die die schwachen Stellen bei sich und bei ihren männlichen Partnern schnell ausfindig macht. Eigentlich sucht sie als Frau und als Künstlerin immer die Lust und den Glanz des Lebens. Schönheitssüchtig ist sie – und wird gleich zur Tigerin, wenn ein männlicher Wille sich ihr entgegenstellt und ihre Ziele durchkreuzt.

So komplex wie ergreifend

Für den Musikkenner ist Berg’s Oper «Lulu» eines der absoluten Meisterwerke des musikalischen Konstruktivismus. Man braucht jedoch von Zwölftonmusik gar nichts zu verstehen, um einen sofortigen Zugang zu dieser Oper zu finden. Alban Berg war nicht nur kompositionstechnisch ein Künstler sondergleichen, er war dazu ein Genie psychischer Einfühlung, der die feinsten Gefühlsverästelungen seiner Figuren auszuhorchen vermochte. Diese Musik spricht jeden an, der Ohren hat für seelische Bedrängnisse und Zwickmühlen.

Das alles ist von Berg in die denkbar passendste Musik eingetaucht: Hingabefähigkeit und Trotz, Zärtlichkeit und Wut, Erwartung und Enttäuschung, Bitthaltung und Verweigerung. Ein analytischer Verstand ist sicherlich gut und hilfreich, um diese Oper in ihrer Machart zu bestaunen. Aber Einfühlung und Sympathie weitet das Verständnis für das Leben der hier auftretenden Protagonisten noch weit mehr. Interessant an dieser Lulu-Geschichte ist auch die Entscheidung, Figuren als Wiedergänger einzusetzen. Den Medizinalrat vom ersten Akt erleben wir später als Bankier und als Professor; ein Maler kommt als Neger wieder, ein Tierbändiger als Athlet. Lulus Ehemann Dr. Schön, den sie in einem Akt von Selbstverteidigung erschiesst, erscheint in der letzten Szene als Jack the Ripper. Er wird Lulu wie ein Krimineller der Unterwelt erstechen.

So sind die Figuren allesamt Komparsen von Trieben, die unser Leben beherrschen und die es zu durchschauen gilt. Die Musik, welche Berg in seinem Spätwerk für den Zustand bedrängter und geschundener Seelen, aber auch von leidenden und gewaltbereiten Körpern erfand, gehört zum Gewaltigsten, was das 20. Jahrhundert an Bühnenkunst geschaffen hat. Sogar seine eigenen Gefühle zur heimlichen Geliebten Hanna Fuchs hat Berg – mit den Tönen h–f spielend – in die Partitur kunstvoll eingeschleust.

Das Lied der Lulu

Als Beispiel sei hier eine Passage aus der 1. Szene des 2. Aktes gewählt. Es ist der Augenblick, da Dr. Schön, nach Hause kommend, seine Ehefrau inmitten einer Gesellschaft findet, die sich von ihr angezogen fühlt. Alwa, der Sohn von Dr. Schön aus einer früheren Ehe, gesteht ihr seine Liebe. Der Vater, der sowohl an mangelnder Selbstbeherrschung wie unter sexueller Hörigkeit leidet, tobt vor Eifersucht und verlangt, dass Lulu sich mit seiner Pistole erschiesse. In der Auseinandersetzung kommt Lulu in den Besitz der Pistole, während sie eine «Arie» singt, die es an Selbsteinsicht in sich hat, aber auch an Mitteilungsmut, gerichtet an alle aktuellen und noch potenziellen Liebhaber. Lulus Text lautet:

«Wenn sich die Menschen um meinetwillen umgebracht haben,
so setzt das meinen Wert nicht herab.
Du hast so gut gewusst, weswegen du mich zur Frau nahmst,
wie ich gewusst habe, weswegen ich dich zum Mann nahm.
Du hattest deine besten Freunde mit mir betrogen,
du konntest nicht gut auch noch dich selber mit mir betrügen.
Wenn du mir deinen Lebensabend zum Opfer bringst,
so hast du meine ganze Jugend dafür gehabt.
Ich habe nie in der Welt etwas anderes scheinen wollen,
als wofür man mich genommen hat.
Und man hat mich nie in der Welt für etwas anderes genommen,
als was ich bin.»

Über diese Selbsteinschätzung könnte man lange meditieren. Berg hat daraus eine Szene gemacht, die von Lulu das Höchste an menschlicher Selbstoffenbarung und das Virtuoseste an darstellerischer Selbstverteidigung abfordert. In der ganzen Opernwelt wird man nicht leicht eine Szene finden, in welcher der Lebenskampf einer Frau eindrücklicher in Musik gestaltet wurde als bei dieser so verzweifelt ehrlichen, lebens- und liebessüchtigen Lulu.

Hier ist die Version ausgesucht, wie sie 2015 in der Produktion der Bayerischen Staatsoper in München zu sehen war. Diese ist inzwischen auch auf DVD in ihrer ganzen Schönheit festgehalten und zu erwerben. Die Lulu singt Marlis Petersen, für die Inszenierung war Dmitri Tscherniakov verantwortlich, die musikalische Leitung lag in den Händen von Kirill Petrenko, dem neuen Chefdirigent der Berliner Philharmoniker.

Berg : Lulu | Marlis Petersen sings "Wenn sich die Menschen" | München 2015

Berg hat 1934 dieses «Lied der Lulu» aus der Oper in seine für den Konzertsaal bestimmte «Lulu-Suite» aufgenommen. Wer «Lied der Lulu» in einer denkwürdigen konzertanten Aufführung erleben will, wählt jene, die Claudio Abbado mit den Berliner Philharmonikern im Jahr 2011 realisiert hat. Hier wird die Lulu von Anna Prohaska gesungen.

Berg: "Lulu" Suite / Prohaska · Abbado · Berliner Philharmoniker

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Ephraim Kishon, israelischer Satiriker, 1924–2005

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Ich verehre Menschen, die eine ideale Gesellschaftsordnung suchen, und fürchte diejenigen, die sie gefunden haben.

Die nächste politische Generation

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Ein spannender Trend zeichnet sich ab. Rund um den Erdball steigen immer mehr Menschen auf die Barrikaden gegen ihre Regierungen. Dabei sinkt das Durchschnittsalter jener, die sich auflehnen. Wütende Teenager organisieren Protestkampagnen über die sozialen Medien – und plötzlich realisieren sie, dass sie damit die Massen mobilisieren und die satte Politikszene in die Defensive drängen können.

Bewaffnete Lehrkräfte? Ein No-Go

Das Fass zum Überlaufen brachte in Florida die Glanzidee aus dem White House, zukünftig Lehrkräften an Schulen das Waffentragen zu erlauben. Dieser makabre Vorschlag als präsidiale Reaktion auf den letzten Amoklauf mit 17 Opfern aus einer endlosen Serie von ähnlichen „Hinrichtungen“ in der Vergangenheit durch Massenmörder an Schulen fand zwar Applaus bei der National Rifle Association (NRA), der mächtigen Waffenlobby in den USA. Doch gleichzeitig wurden im Februar 2018 die Schüler der Szene des jüngsten Massakers mobilisiert. Unbeeindruckt von den Drohgebärden der NRA haben Tausende von ihnen in Parkland, Florida für eine Verschärfung des US-Waffenrechts demonstriert. In der Hauptstadt Tallahassee versammelten sich Überlebende des Blutbades und mit ihnen Hunderte von aufgebrachten Teenagern vor dem Capitol. Ihr Engagement wirkte ansteckend, auch an anderen Orten des Bundesstaates schlossen sich Schüler mit Streiks diesen Protesten an.

Die Bewegung griff inzwischen aufs ganze Land über – die Jugend demonstriert für härtere Waffengesetze und mobilisiert gleichzeitig Erwachsene. Bereits werden diese Jugendlichen als Helden gefeiert und die Medien orakeln, ob Schüler diesmal die amerikanische Regierung endlich zwingen könnten, die Gesetze zu ändern. Offensichtlich sind es heute in zunehmendem Masse Jugendliche, die sich auflehnen, organisieren und die trägen Massen mobilisieren. Sie sind die nächsten Erwachsenen, sie involvieren sich über die sozialen Medien, noch bevor sie an der Urne mitbestimmen können. Und sie kommen gut an in der Gesellschaft, wer hätte nicht Sympathien für diese aktiven „Politikerinnen und Politiker“?

Die US-Regierung wird angeklagt

In San Francisco verstummte das Publikum, als im Herbst 2017 an einer Veranstaltung für Unternehmer in einer Fabrikhalle der Teenager Xiuhtezcatl („Schuhtess-kat“) mit langem Haar auf die Bühne sprang und verkündete: „Ich verklage Donald Trump!“ Der Siebzehnjährige kann die Auftritte vor Publikum gar nicht mehr zählen, schon als 15-Jähriger sprach er vor der Generalversammlung der Uno in New York. Seine Botschaft: Zusammen mit 20 weiteren Jugendlichen verklagt er die US-Regierung für ihre Klimapolitik. Soeben hat er auch ein Buch publiziert: „We Rise“ („Wir erheben uns“). Damit könnte ihm gelingen, was bisher undenkbar schien. Er könnte zum Helden einer neuen grünen Jugendkultur werden. Bereits wird er zu Fernsehshows und internationalen Kongressen eingeladen – seit acht Jahren schon wettert er gegen Kohle- und Fracking-Unternehmen.

Daniel Kammen, Professor an der Universität von Kalifornien in Berkeley und 2007 Mitglied des Friedens-Nobelpreis-Gewinner-Teams, einige Jahre älter als der oben zitierte Shootingstar, drückt zur selben Zeit aus, was längst weltweit klar ist: „Die Politik müsste sich ändern, die Wirtschaft, das Verhalten der Menschen. Nie war die Bedrohung für das Klima so gross und mit Donald Trump hätte die Umweltbewegung sogar das ideale Feindbild“. Jetzt stellt sich die Frage, ob dem Jungen mit dem hüftlangen Haar etwas gelingt, was den Tausenden von Experten in der Vergangenheit nicht gelang? Eine Klima-Revolution.

Bewegung „Jeunes avec Macron“

Frankreich wählte im Mai 2017 Emmanuel Macron als Staats-Präsidenten und hat damit bereits eine kleine Revolution realisiert. Getragen wurde diese durch die Jugend – die gleichzeitig eine neue politische Kategorie etablierte, abseits der ausgelaugten politischen Parteien. Symbolisiert wird dieses kleine „Erdbeben“ durch die jüngste Abgeordnete der „La République en Marche“ in der Nationalversammlung. Sie heisst Typhanie Degois, ist 22-jährig und hat in ihrem Wahlkreis Savoyen jenen alten Herren aus dem Palais Bourbon verjagt, der dort seit 20 Jahren sass und sich während der Wahlkampagne lustig machte über das Alter seiner Herausforderin. Auch in Zahlen bestätigt sich der Eindruck des fulminanten Wandels: 38,6 Prozent beträgt dort seither der Frauenanteil im nationalen Parlament (in der Schweiz: Ständerat 15,2%, Nationalrat 32,0%).

Das Volk geht auf die Barrikaden

Der brutale Mord am Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten hat in der Slowakei im März 2018 zu riesigen Massendemonstrationen gegen die grassierende Korruption geführt, wie sie das Land seit 1981 nie mehr gesehen hat. Über 50’000 Demonstranten – auffallend viele Jugendliche – brachten die Regierung ins Wanken, der Innenminister trat im März 2018 zurück. Parteilose Aktivisten organisierten die Protestzüge, Politiker waren als Redner ausdrücklich unerwünscht.

Schon 2017 war es in Bukarest zu den grössten Protesten seit 1989 gekommen – auch hier ging es um die Bekämpfung der Korruption. Eine neue, selbstbewusste Bevölkerungsschicht trat an gegen ihre Regierung, empörte und fordernde Bürger waren erwacht. Getragen wurde der Protest auch hier von Aktivisten, jungen Familien mit kleinen Kindern, die Eltern gut ausgebildet und nicht mehr, wie früher, als Bittsteller antretend.

Anzeichen einer digitalen Revolution

Auch in Brasilien, anderen südamerikanischen Staaten oder in Südkorea stehen die Zeichen auf Sturm. Dass sich das Volk gegen die Korruption ihrer politischen Kaste auflehnt, ist zwar nicht neu. Doch das Ausmass und die Vehemenz lassen aufhorchen. Offensichtlich spielt dabei die unaufhaltsame Digitalisierung in Gesellschaft und Politik eine wichtige Rolle. Die Erneuerung des politischen Systems und die Partizipationsmöglichkeiten des Volkes werden durch Computerprogramme rasch vereinfacht und vorangetrieben.

Und in der Schweiz? Ende 2017 haben Professoren der Uni Zürich unter der Koordination von Abraham Bernstein, Direktor der „UZH Digital Society Initiative“ einen Aufruf lanciert und die Anleitung verbreitet, wie die Digitalisierung demokratische Prozesse verändern könnte. Mit im Boot sind Fabrizio Gilardi, Politologieprofessor und der Politologe Maximilian Stern. Ziel dieser Aktivität ist es, die Bevölkerung viel früher in den politischen Planungsprozess zu involvieren. Nicht nur können auf diese Weise Abläufe optimiert werden, Ziel ist es vielmehr, ganze Prozesse auf Grund auf neu zu organisieren.

Gedanklich bereits integriert hat in der Schweiz die junge politische Bewegung „Operation Libero“ Ideen der Neuorganisation der politischen Landschaft. Via soziale Medien mischt sie sich ein und führt erfolgreich Kampagnen zu Abstimmungen, dort, wo es ihnen wichtig erscheint (Durchsetzungsinitiative, No-Billag-Initiative). Sie rekrutiert ihre Aktiven aus dem ganzen politischen Spektrum und bezeichnet sich deshalb ausdrücklich als Bewegung – nicht Partei. Damit ermöglicht sie eine Abkehr von Dogmatismus und ideologischer Befangenheit im politischen demokratischen Umfeld.

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In grösster Bedrängnis

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Der Sinai ist von der Aussenwelt isoliert. Die ägyptische Armee operiert dort und veröffentlicht gelegentlich Siegesmeldungen, die nicht überprüfbar sind. Die wenigen Informationen, die aus der belagerten Halbinsel hinaussickern, können in Ägypten nicht publiziert werden.

Androhung der Todesstrafe

Wer immer das wagte, müsste gewärtigen, des Hochverrats angeklagt zu werden. Präsident Sissi hat erklärt, dass jegliche Kritik an der Armee dem Hochverrat gleichkomme und als solcher geahndet werde. Das bedeutet die Todesstrafe. Ohne Kritik an der Armee zu üben, kann man jedoch nicht über den Sinai berichten.

HRW räumt ein, dass ihre Informationsquellen beschränkt sind. Der Bericht beruht, wie diese Nichtregierungsorganisation erklärt, auf den Aussagen von drei lokalen Journalisten und etwa 13 Bewohnern des Sinai oder deren Verwandten. Dazu hat HRW Photographien und Luftaufnahmen ausgewertet und versichert, deren Analyse entspreche den Aussagen ihrer Zeugen.

Abschottung

Aus den Berichten geht hervor, dass die ägyptische Armee versucht, den Widerstandskämpfern auf dem Sinai beizukommen, indem sie die Zufuhr von Lebensmitteln, Medikamenten, Benzin, Gas, Strom, Wasser und anderen lebenswichtigen Gütern für den ganzen nördlichen Teil der Halbinsel unterbindet, um ihre Verteilung in die eigene Hand zu nehmen. Von dieser Sperre sind rund 420’000 Zivilisten betroffen, die im Nordsinai leben. Die Mehrheit von ihnen lebt in Städten und grösseren Siedlungen nahe an der Küste, wie al-Arish, Scheich Zuweid und der Grenzstadt nach Ghaza, Rafah, die inzwischen überwiegend aus Ruinen besteht.

Erhöhung des Drucks seitens der Armee

Die ägyptische Armee hat ihren Einsatz seit dem Sturz Mursis im Jahr 2013 im Sinai verstärkt. Eine weitere Intensivierung der Kämpfe begann nach dem Überfall auf eine Moschee der Sufis, dem 305 Menschen zum Opfer fielen. Und der Druck auf die Armee von Seiten Präsident Sissis, in Sinai endlich etwas zu erreichen, wurde noch einmal durch einen Befehl erhöht, den der Präsident am 9. Februar erteilte und der lautete, in drei Monaten müsse die Armee ein Ende des Widerstandes erreichen, „mit allen noch so brutalen Mitteln“.

Den Überfall auf die Moschee führten wahrscheinlich Angehörige oder Sympathisanten des IS durch. Der „IS, Provinz Sinai“, wie er sich nennt, hat die Verantwortung nicht übernommen, doch Augenzeugen berichteten, die Angreifer hätten IS Fahnen getragen. Die Sufis und die Salafisten, zu deren extremem Flügel der IS gehört, sind theologische und ideologische Widersacher. Der Widerstand auf dem Sinai ist besonders zäh, weil sich dort die Anliegen der Beduinen, die sich seit Jahrzehnten von Kairo diskriminiert und vernachlässigt fühlen, mit der Ideologie der Anhänger des IS verbinden, obwohl es von denen wahrscheinlich nur ein paar Tausend oder bloss Hunderte gibt.

Kollektivstrafe für 420’000 Menschen

Die Behandlung der gesamten Zivilbevölkerung in der Nordprovinz Sinais durch die Armee ist darüber hinaus dazu angetan, Verzweiflung, Wut und Widerstand bei der gesamten Zivilbevölkerung zu wecken. Die Armee hat die Ortschaften voneinander und ganz Nordsinai vom Rest Ägyptens isoliert. Strassensperren unterbinden den Verkehr, soweit er nicht von der Armee kontrolliert wird. Die Tankstellen sind seit dem 9. Februar geschlossen, so dass die Armee der einzige Benzinlieferant ist.

Was die Lebensmittel betrifft, so erklärt sich die Arme für deren Lieferung zuständig und unterbindet allen Handel, den sie nicht kontrolliert. Doch die Lieferungen der Armee reichen zur Versorgung der Bevölkerung nicht aus. Mehrmals eröffneten die Soldaten das Feuer auf Gruppen von Bürgern, die zusammengelaufen waren, weil sie hofften, Nahrungmittel zu erhalten. HRW befürchtet eine unmittelbar bevorstehende humanitäre Katastrophe. Dabei ist unklar, inwieweit die Knappheit an Lebensmitteln darauf beruht, dass die Militärs Teile der Lieferungen abzweigen, um sie auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen, oder inwieweit die Armee versucht, die Bevölkerung so knapp zu halten, dass sie erwarten kann, diese werde nichts an die Widerstandsgruppen weiterleiten.

Blockiertes Wirtschaftsleben

Die Isolierung der Ortschaften voneinander hat zur Stilllegung des Wirtschaftslebens geführt. Gegen 60 Prozent der Bevölkerung sollen arbeitslos sein. Alle Schulen und alle Universitäten wurden geschlossen. Es herrscht ein Ausnahmezustand mit häufigen Ausgangssperren. Bei Hausdurchsuchungen werden die Mobiltelefone und Computer von der Armee konfisziert. Telefonverbindungen und die Zugänge zum Internet werden oft mehrere Tage lang unterbrochen. Die Landwirtschaft, eine der Hauptquellen des Lebens in Nordsinai, liegt darnieder, weil es an der Bewässerung fehlt. Das dafür nötige Wasser wird in normalen Zeiten mit elektrischen oder Benzin betriebenen Pumpen an die Oberfläche gebracht. HRW urteilt, die Massnahmen der Armee kämen einer Kollektivstrafe für alle Bewohner Nordsinais gleich. Die Städte und Ortschaften im östlichen Teil der Provinz, al-Arish und Scheich Zuweied, sind besonders betroffen und besonders streng isoliert.

Die Luftaufnahmen zeigen Hunderte von Strassensperren, Armeeposten, Beobachtungsposten, Munitionsdepots, Hunderte von Kilometern von Sandwällen und Gräben, um die Bevölkerung zu isolieren. Ausreisen ins Niltal sind bewilligungspflichtig. Die Genehmigungen aber sind kaum zu erhalten. Die Behörden erklären, die Ausreise sei beschränkt auf Personen, deren Häuser zerstört worden sind. Solche Zerstörungen nimmt die Armee vor, um freies Schussfeld zu erlangen. Im grossen Stil geschieht dies an der Grenze zum Gazastreifen in Rafah wie auch in einer Fünf-Kilometer-Zone rund um den Flughafen von al-Arisch herum.

Keine humanitäre Hilfe

Auch die Heimkehr von Familienmitgliedern, die im Niltal von der Verschärfung der Massnahmen überrascht wurden, wird verhindert. Transporte sind selten und teuer geworden, und sie brauchen wegen der Strassensperren sehr viel mehr Zeit als früher. HWR fordert, dass das ägyptische Rote Kreuz die Erlaubnis erhält, der Bevölkerung Hilfe zu bringen. Doch Präsident Sissi hatte am vergangenen 19. Januar erklärt: „Wir haben uns entschieden, äusserste und wahrlich brutale Gewalt anzuwenden. Noch haben wir damit nicht begonnen!“

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Wechselnde Bündnisse, neue Fronten

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In Jemen ist nicht Ahmed Ali Saleh, der älteste Sohn des im vergangenen Dezember von den Huthis erschossenen langjährigen Staatschefs, Ali Abdullah Saleh, zum Nachfolger und Rächer seines Vaters geworden. Das hatte man erwartet, zumal er er selbst am 5. Dezember, einen Tag nach der Ermordung seines Vaters, Entsprechendes öffentlich gelobt hatte.

Loyalität

Ahmed war der Kommandant der gut ausgerüsteten Elitetruppe der Präsidialgarden gewesen, aber als solcher 2013 entlassen und als jemenitischer Botschafter in die Vereinigte Arabische Republik (VAR) gesandt worden, nachdem sein Vater im Jahr zuvor unter dem Druck der Golfstaaten und des Sicherheitsrates als Präsident hatte zurücktreten müssen.

Doch seine Offiziere und Soldaten hatten General Ahmed die Treue bewahrt, und sein Einfluss hatte entscheidend mitbewirkt, dass die jemenitische Armee sich in Einheiten aufspaltete, die entweder weiterhin gegenüber dem abgesetzten Präsidenten loyal blieben oder die zu dem von der Uno geförderten neuen Präsidenten hielten. Der neue Präsident ist Rabbo Abdul Mansour al-Hadi. Vorher war er Vizepräsident unter Ali Abdullah Saleh und seit 2012 „Übergangspräsident“.

Vergeblicher Kampf gegen die Huthis

Der abgesetzte langjährige Altpräsident, Ali Abdullah Saleh, schloss sich mit seinen ehemaligen Feinden, den Huthis, zusammen und brachte die ihm weiterhin loyalen Teile der Armee in dieses Bündnis ein. Sein Sohn Ahmed wurde von der Uno mit Sanktionen belegt, weil er zur Spaltung der Armee und damit zur Entstehung des Bürgerkrieges in Jemen entscheidend beigetragen habe.

Aus der Zusammenarbeit der militärischen und politischen Anhänger des Altpräsidenten mit den Huthis resultierte die Machtübernahme der Huthis in den meisten bewohnten Teilen Jemens einschliesslich der Hauptstadt Sanaa vom Jahr 2014 und die Vertreibung des neuen Präsidenten, al-Hadi, zuerst aus Sanaa und später aus ganz Jemen nach Saudi Arabien. Ein Jahr später, am 25. März 2015, griffen die Saudis in den jemenitischen Bürgerkrieg zu Gunsten Präsident Hadis ein und stellten sich gegen die neue Macht der Huthis, welche die Saudis als ein politisches Instrument Irans ansahen und fürchteten.

Der Krieg, den die Saudis und ihre Verbündeten in erster Linie aus der Luft führten, brachte keine Entscheidung. Die Huthis verloren Südjemen, doch konnten sie sich in Sanaa und in den dicht besiedelten Teilen des gebirgigen Nordens halten.

Ehrenvolle Gefangenschaft

Die Allianz zwischen Ali Saleh Abdullah und den Huthis zerbrach im Dezember 2017, als der Altpräsident versuchte, mit seinen Anhängern und den ihm zuneigenden Militärs die Liaison mit den Huthis aufzulösen und mit der saudischen Koalition gemeinsame Sache zu machen. Nach Kämpfen in Sanaa musste der Altpräsident aus der Hauptstadt fliehen und wurde auf der Flucht von den Huthis erschossen.

Die Kämpfe in Sanaa, die zwischen zwischen den Huthis und den Anhängern des Altpräsidenten ausbrachen, wurden von einem Neffen Ali Abdullah Salehs und einem Vetter des Generals Ahmed geleitet, Tariq Muhammad Abdullah Saleh. Ahmed selbst befand sich damals in der VAE nicht mehr als Botschafter sondern in einer Art ehrenvoller Gefangenschaft.

Eine Hilfsarmee für die VAE

Tareq und seine Anhänger verloren den Kampf um Sanaa, und sein Tod wurde gemeldet. Doch er entkam, erhielt Unterstützung durch die VAE und sammelte die militärischen Anhänger des Altpräsidenten um sich. In Südjemen, wo der Einfluss der VAE massgebend ist, wurde nahe bei der Stadt Mokha (aus welcher der Mokka-Kaffee stammt), westlich von Aden, ein grosses Sammel- und Ausbildungslager mit finanzieller und Waffenhilfe der VAE errichtet. Tareq, der den Rang eines Generals in der jemenitischen Armee innehat, wurde sein Kommandant. Diese Truppen sind nun zum ersten Mal gegen die Huthis eingesetzt worden. Sie versuchen, weiter nach Westen und dann der Rotmeerküste entlang nach Norden vorzustossen. Dort gibt es eine seit Monaten festgefahrene Offensive der VAE-Truppen und -Söldner, die als Endziel auf den Hafen von Hodeida gerichtet war, aber nie weit vordringen konnte.

Von der Strasse, die dem Meer entlang von Mokha nach Hodeida führt, gibt es eine Abzweigung in Richtung Osten in die Berge Zentraljemens hinauf und zu Taez, der drittgrössten Stadt Jemens nach Sanaa und Aden. Um diese Abzweigung drehen sich die gegenwärtigen Kämpfe. Falls die Truppen des Generals Tareq sich durchsetzen könnten, stünde ihnen die Strasse nach Taez offen.

Proteste in Taez gegen General Tareq

In Taez gibt es eine besondere, allerdings typisch jemenitische Konstellation. Es ist den Stadtbewohnern, überwiegend Sunniten, gelungen, die zaiditischen Huthis aus ihrer Stadt zu vertreiben. Doch diese haben sich jetzt in den Bergen rund um Taez herum festgesetzt und halten die Stadt unter einer losen Belagerung. Die Saudi-Koalition unterstützt den Aufstand von Taez gegen die Huthis mit Bomben. Doch die Hauptträger des Widerstandes gegen die Huthis sind Kämpfer, die den Muslimbrüdern und deren Verbündeten angehören. Die Muslimbrüder sind ihrerseits ein Rotes Tuch für die VAE, weshalb die Truppen aus Südjemen nie sehr energisch gegen die Huthis eingesetzt wurden, die Taez unter ihrer Belagerung halten. In Taez hat es bereits Demonstrationen gegen General Tareq gegeben. Die dortigen Stadtmilizen, die unter dem Einfluss der Brüder stehen, erklären, er habe, als er noch zusammen mit seinem Onkel, dem Altpräsidenten, auf Seiten der Huthis stand, gegen Taez gekämpft und sei „der Schlächter unserer Milizen“ gewesen. Nie würden sie sich seinen Truppen unterstellen.

Warum General Tareq nun als der wichtigste Rächer seines Onkels, des abgesetzten und später erschossenen Präsidenten, auftritt und nicht dessen als engster Mitarbeiter und als designierter Nachfolger geltender ältester Sohn, Ahmed, bleibt unklar. Möglicherweise war Ahmed den Herrschern der VAE nicht genehm, oder aber er konnte oder wollte nicht mit al-Hadi zusammenarbeiten, welcher der Uno und der saudischen Koalition als der Präsident der legalen, jedoch meist in Riad überlebenden jemenitischen Regierung gilt. Ohne Zweifel bleibt jedoch General Ahmed Ali Saleh einflussreich in den ihm und seinem Vater zuneigenden Teilen der jemenitischen Armee. Und möglicherweise wird er doch noch eine Führungsrolle übernehmen, wenn sich sein Vetter, General Tareq, mit seinen Truppen gegen die Huthis nicht durchsetzen kann.

Verlust eines wichtigen Führers der Huthis

Die Huthis haben soeben durch einen Bombenschlag der saudischen Koalition in Hodeida ihren zweitwichtigsten Führer verloren. Er war Saleh as-Samad, ein Vetter des Gründers der Huthi Bewegung, des Badr ad-Din al-Huthi, selbst ausgebildeter zaiditischer Theologe und Kämpfer der ersten Stunde. Er bekleidete zuletzt das Amt eines Vorsitzenden des Obersten Souverainitätsrates, den die Huthis im vergangenen August gegründet hatten. Er war ein Vertrauensmann des gegenwärtigen Houthi-Chefs, Abd al-Malik al-Huthi. Die Saudis sollen 20 Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt haben. Er galt als ein Angehöriger des eher verhandlungsbereiten „politischen“ Flügels der Huthi, und durch seinen Tod dürfte der „militärische“, auf weiteren Krieg setzende Flügel an Gewicht gewonnen haben. In Sanaa haben die Huthis gelobt, sie würden für den Bombenschlag Rache üben.

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Ferner Friede

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Hasan Abu Nimah ist ein erfahrener Diplomat. Er war Jordaniens Botschafter in Brüssel, in Rom und an der Uno in New York. Heute ist der 84-Jährige Rapporteur der aussenpolitischen Kommission des Senats in Amman. Zudem schreibt er eine Kolumne für die „Jordan Times“.

Abu Nimahs Referat war „off the record“, was angesichts seiner Position verständlich ist. Es bot eine ungeschminkte Tour d’Horizon durch einen Konflikt, der die Region und die übrige Welt seit einem Jahrhundert beschäftigt, und der angesichts jüngster Entwicklungen in Syrien, im Jemen und in Gaza von einer Lösung noch immer weit entfernt ist. Es ist kein Krieg zwischen Religionen, sondern ein Kampf um die Kontrolle von Territorium.

Fragwürdige Militärschläge

„Wir fürchten uns alle zutiefst“, hat Hasan Abu Nimah in der „Jordan Times“ seine jüngste Kolumne zum Thema der alliierten Luftangriffe auf syrische Installationen überschrieben. Was Syrien und andere Länder im Nahen Osten bräuchten, sei keine unverantwortliche und finstere Flucht in den Krieg, „sondern Weisheit, Fairness, auf Prinzipien basierte Politik, verantwortungsbewusstes und ordentliches Verhalten, das auf Rechtsstaatlichkeit fusst.“

Die Erfahrung zeige, dass Militärschläge als Strafe für internationales Fehlverhalten wenig nützen – vor allem dann nicht, wenn sie ohne glaubwürdige Begründung und ohne Zustimmung der Uno erfolgten. Strafmassnahmen, so Abu Nimah, seien nicht nach Gutdünken und selektiv zu ergreifen, sondern nur bei Verletzungen des Völkerrechts.

Noch nach 15 Jahren, argumentiert der Ex-Diplomat, leide die Region unter den Folgen der von den USA geführten Invasion im Irak, die damals unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erfolgt sei: „Eine Politik, die sich auf Erfindungen, unverhüllte Lügen, ständige Verschwörung und den uneingeschränkten Einsatz von Gewalt abstützt, ist keine Basis für eine tragfähige und vertrauenerweckende internationale Ordnung.“ Das mache allen Angst und Bange.

Druck auf Palästinenser

Beunruhigend ist Hasan Abu Nimah zufolge auch die Uneinigkeit unter den Staaten der Region. „Die arabischen Staaten sind sich zutiefst uneins, was alle aktuellen Krisen betrifft, sei es in Syrien, Libyen oder im Jemen“, schreibt er Mitte März in der „Jordan Times“ über den bevorstehenden Gipfel der Arabischen Liga: „Die Kriegsparteien in all diesen Ländern werden von gegnerischen arabischen Staaten unterstützt, finanziert und bewaffnet. Wie können streitende Parteien gleichzeitig Krieg führen und Frieden anstreben?“

Um ein drängendes Thema aber, so Abu Nimah in seiner Kolumne, kämen die Teilnehmer des Gipfels in Dhahran nicht herum: Stellung zu beziehen angesichts eines (noch unveröffentlichten) amerikanischen Plans, die Palästinenserfrage zu lösen, ohne auf die legitimen und international verbrieften Rechte der Palästinenser Rücksicht zu nehmen: „Es ist alarmierend zu vernehmen, dass sich einige arabische Staaten mit den gefährlichsten Punkten eines Planes anzufreunden scheinen, den ein Team entwirft, das Israels extremistische Positionen und Gebietsansprüche in den palästinensischen Territorien befürwortet.“ Ebenso alarmierend sei der Umstand, dass arabische Staaten auf die Palästinenser und anders denkende Länder der Region Druck ausübten, entweder dem US-Plan zuzustimmen oder die Folgen zu tragen.

Ruhiges Jordanien

Derweil ist die Lage in Hasan Abu Nimahs Jordanien relativ ruhig. Im Februar hat Amerikas damaliger Aussenminister Rex W. Tillerson in Amman ein Abkommen unterzeichnet, das dem Königreich in den nächsten fünf Jahren eine jährliche Unterstützung von 1,3 Milliarden Dollar zusichert – 300 Millionen mehr als bisher. „Der Zuwachs widerspiegelt zum Teil Jordaniens langjährige Rolle als wichtiger Partner beim Kampf gegen den Extremismus in der Region und bei der Unterbringung von Millionen von Kriegsflüchtlingen aus Syrien“, kommentiert die „New York Times“.

Die Finanzhilfe aus Washington schien zwischenzeitlich gefährdet, nachdem Jordanien mit 127 anderen Staaten einer Uno-Resolution zugestimmt hatte, welche die Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verurteilte. Auch hatte König Abdallah II. sein Missfallen in dieser Sache US-Vizepräsident Mike Pence in Amman ungewöhnlich scharf und öffentlich mitgeteilt.

Dem Monarchen dürfte ebenso wenig gefallen haben, dass die USA ihre Unterstützung des Uno-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNWRA) von 125 auf 60 Millionen Dollar halbierten. Die UNWRA betreibt in Jordanien Schulen und Kliniken für Tausende von Palästinenserflüchtlingen. Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang, dass das Königreich nach wie vor 1,4 Millionen Syrer beherbergt, unter ihnen 600’000 registrierte Kriegsflüchtlinge.

Reformwilliger König

Hasan Abu Nimah billigt König Abdallah zu, in den 19 Jahren seit Amtsantritt gut regiert und das Erbe seines Vaters Hussein bin Talal umsichtig verwaltet zu haben. Dies in einer gefährlichen Umgebung und unter häufig erschwerten Umständen. „Angesichts aller Krisen hat König Abdallah mit Mut, Urteilskraft, Verantwortung und Selbstlosigkeit agiert“, folgert der Senator im Februar in der „Jordan Times“. Ohne Ausnahme habe sich der heute 57-Jährige für politische Lösungen von Konflikten ausgesprochen und sich nicht in die Angelegenheiten anderer Länder eingemischt. In der Jerusalem-Frage aber stehe er vorbehaltlos hinter den Palästinensern.

Innenpolitisch, schreibt Abu Nimah, habe sich Abdallah II. nicht von seinem Reformkurs abbringen lassen, einem Kurs, den er geradlinig weiter verfolge – mit Hilfe von Positionspapieren, die jeder Jordanier frei und offen diskutieren könne, etwa zu Themen wie Bildung, Demokratisierung, Gewaltentrennung, Pressefreiheit, gute Führung, ethnische und religiöse Diversität: „Während der Weg nach vorn noch lang und voller Unebenheiten verläuft, ist Ihre Majestät der König jeder Herausforderung gewachsen, die es bei der Verfolgung seiner Ziele anzunehmen gilt.“ – Möge der Diplomat Recht behalten.

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Konfuzius

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An einem edlen Pferd schätzt man nicht seine Kraft, sondern seinen Charakter.


Unerwarteter Widerstand

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Die Vorverlegung der türkischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen um 16 Monate – vom 3.November 2019 auf den 24. Juni 2018 – veranlasst die türkische Opposition zu  raschen und effizienten Vorbereitungen.

In den Startlöchern

Soeben hat die Hauptoppositionspartei, die Republikanische Volkspartei (CHP), einen gewagten Schachzug unternommen, der gewiss Einfluss – möglicherweise sogar entscheidenden Einfluss – auf das Wahlresultat haben wird. Die überraschende Massnahme spiegelt die ausserordentliche Bedeutung der bevorstehenden Wahlen wider, bei der es um nichts weniger geht als um die Zukunft der türkischen Demokratie.

Die AKP, die Partei Erdogans, zieht mit einem Verbündeten in die Wahlen, der ultra-nationalistische MHP (Nationale Bewegungspartei). Erdogan hatte sich für dieses Bündnis entschieden, nachdem seine Partei in den Wahlen vom Juni 2015 zum ersten Mal in ihrer damals 14-jährigen Geschichte nicht die absolute, sondern bloss eine relative Mehrheit erlangt hatte.

Absolute Mehrheit?

Um seine Pläne einer „exekutiven Präsidentschaft“ durchzusetzen, braucht Erdogan eine absolute Mehrheit. Er entschied sich daher für das Bündnis mit der MHP. Um dieses zu realisieren, musste er eine scharfe Antikurdenpolitik betreiben, denn die Ultra-Nationalisten der MHP sind erbitterte Feinde der kurdischen „Separatisten“. Dies geschah.

Heute sitzt der charismatische Führer der demokratisch ausgerichteten pro-kurdischen DHP (Demokratische Partei der Völker), Salahettin Demirtas, mit zehn anderen Abgeordneten seiner Partei und seiner Kopräsidentin, Figen Yüksekdag, im Gefängnis. Demirtas wurde am 3. November 2016 verhaftet. Mehr als ein Jahr später, im Dezember 2017, wurde der Prozess gegen ihn eröffnet. Die Staatsanwaltschaft fordert 142 Jahre Gefängnis für ihn. Die türkische Armee kämpft gegen die Kurden nicht nur in der Osttürkei und in den angrenzenden irakischen Bergen, sondern auch in Nordsyrien, wo sie ihren „Sieg“ über Afrin gefeiert hat.

Spaltung der ultra-nationalistischen MHP

Die Rechnung ging auf. Erdogan sorgte dafür, dass am 3. November 2015 noch einmal gewählt werden musste, und diesmal erhielt seine Partei wieder eine absolute Mehrheit.

Doch in der MHP kam es über der Frage der Allianz zu einer Spaltung. Die Politikerin von Gewicht, Meral Aksener, forderte den Parteichef, Devlet Bahceli, zu dieser Frage heraus, stritt mit ihm und gründete schliesslich ihre eigene Partei, die sie die „Iyi“ Partei nannte, Partei des Guten. Fünf der 40 Abgeordneten der MHP gingen zu „Iyi“ über. Wie viele der Wähler der MHP dies auch tun werden, weiss man natürlich nicht, doch es könnte bei den knappen Mehrheitsverhältnissen entscheidend werden. „Iyi“ stellt sich gegen die Pläne Erdogans, und Frau Aksener will als Gegenkandidatin gegen ihn auftreten. – Soweit die zum Verständnis nötige Vorgeschichte.

Kann „Iyi“ an den Wahlen teilnehmen?

Nun gab es eine Unklarheit. Die Neugründung von „Iyi“ war so kurz vor dem neu festgesetzten Wahltermin erfolgt, dass man behaupten konnte, die neue Partei habe nicht alle legalen Voraussetzungen erfüllt, die notwendig seien, um als Partei in die Wahlen ziehen zu können. Insbesondere gibt es eine Vorschrift, die fordert, neue Parteien müssten sechs Monate vor den Wahlen einen Parteikongress abhalten, der über die Parteiführung abstimmt, damit das Resultat dieser Abstimmung veröffentlicht werden kann. Ob „Iyi“ als Partei in die Wahlen ziehen könne, war daher fraglich.

Es gibt aber eine andere Vorschrift, die besagt, wenn eine parlamentarische Gruppe sich im Parlament zusammenfindet und aus mindestens 20 Mitgliedern besteht, kann die Partei dieser Gruppierung an den Wahlen teilnehmen. 15 der 134 Abgeordneten der CHP, der weitaus grössten Oppositionspartei, entschlossen sich daher, zu den 5 Parlamentariern von „Iyi“ zu stossen und mit ihnen eine parlamentarische Gruppe zu bilden.

Zu diesem Zweck mussten sie aus ihrer eigenen Partei austreten und Mitglieder von „Iyi“ werden. Sie taten dies, obwohl die CHP eigentlich links der Mitte stehen will, während Aksener und die Ihren durchaus zur Rechten zu rechnen sind. Dem Vernehmen nach regte Parteichef Kemal Kiliçdaroglu die 15 zu diesem ungewöhnlichen Schritt an. Die „Überläufer“ erklärten, es gehe um wichtigere Belange als die Zugehörigkeit zu rechts oder links, nämlich um die Rettung der Demokratie an sich. In der Tat bestätigte die „Souveräne Wahlkommission“ der Türkei kurz nach der Bildung der parlamentarischen Gruppe, dass „Iyi“ als Partei bei den Wahlen mitwirken darf.

Erdogan zeigt sich erzürnt

Dass dieser Schachzug von Bedeutung ist und offenbar die fein gesponnen Pläne der AKP und Erdogans durchkreuzt, zeigte die Reaktion des Präsidenten. Er rief eine Sondersitzung des Parlamentes ein, um sich über die Vorgänge zu beklagen. Er wird mit der Aussage zitiert, es sei eine „Katastrophe, dass das Parlament so tief heruntergekommen“ sei. In der Sitzung kam es zu einem Tumult, als Kiliçdaroglu, der Chef der CHP, sagte, der 20. Juli 2016 sei „der Tag eines Staatsstreichs der AKP“ gewesen. Das Datum ist jenes der ersten Einführung des Ausnahmezustandes unmittelbar nach dem fehlgeschlagenen Putschversuch der vorausgegangenen Tage. Der Ausnahmezustand besteht noch heute und wird auch an dem neu angesetzten Wahltermin weiter bestehen, eine Lage, die nicht ohne Einfluss auf die Wahlen bleiben wird und gegen welche die CHP scharf protestiert.

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Marie von Ebner-Eschenbach, österreichische Schriftstellerin, 1830–1916

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Echte Propheten haben manchmal, falsche Propheten haben immer fanatische Anhänger.

Digitales Versteckspiel in der smarten Stadt

Berlusconi, immer wieder

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Beide waren heiratswillig. Die Protestbewegung Cinque Stelle, die stärkste italienische Partei, und die rechtspopulistische Lega wollten gemeinsam die neue Regierung bilden. Zwar stritt man sich noch, wer Ministerpräsident werden sollte, doch das Problem schien lösbar.

Ein anderes Problem hingegen nicht. „Mit Lega-Chef Matteo Salvini geht nichts mehr“, sagt jetzt plötzlich Luigi Di Maio, der Anführer der Cinque Stelle. Und er wirft die Lega aus dem Bett.

Das Problem heisst Berlusconi. Die 5 Sterne, die sich gern ein sauberes Image verpassen, wollen einzig mit der Lega regieren – nicht aber mit dem mehrmals verurteilten Berlusconi und seiner Forza Italia. Diese jedoch ist mit der Lega verbündet. Stellt aber Salvini Berlusconi kalt, besteht die Gefahr, dass das Rechtsbündnis zerbricht und Salvini von rechts unter Druck kommt.

Wieder also dominiert Berlusconi die italienische Politik. Doch diesmal ganz anders als früher. Der grosse Silvio, Milliardär, Frauenbetörer und Medienmogul – er ist plötzlich zur Belastung geworden: zum Klotz am Bein von Matteo Salvini. Zwar hat das Rechtsbündnis, dem neben der Lega und der Forza Italia auch die postfaschistischen Fratelli d’Italia angehören, zusammen am meisten Stimmen erhalten. Doch Berlusconi könnte erreichen, dass die Rechte nicht regieren kann.

Schon haben die 5 Sterne begonnen, mit dem sozialdemokratischen „Partito Democratico“ (PD) zu flirten. Ein Teil des PD ist offen für eine Regierung mit den Sternen. Doch nur ein Teil. Eine starke Fraktion um den früheren Ministerpräsidenten Matteo Renzi schliesst eine Koalition mit den Sternen kategorisch aus. Renzi will, dass die arg zerzausten Sozialdemokraten sich in der Opposition regenerieren. Käme es dennoch zu einem Bündnis zwischen den 5 Sternen und einem Teil des PD, würde das wohl eine Spaltung der Sozialdemokraten bedeuten.

Seit jeher hasst Berlusconi seinen Lega-Partner Salvini. Er hasst ihn mehr als seinen Lieblingsfeind, die Linke. Jetzt könnte es dem bald 82-jährigen schlauen Fuchs gelingen, Salvini daran zu hindern, an die Macht zu gelangen. Zweitens könnte Berlusconi die Sozialdemokraten wieder einmal spalten. Zwei Fliegen auf einen Schlag. Wenn sich da nicht einer ins Fäustchen lacht ...

P. S. Vielleicht kommt es ganz anders. Vielleicht hat Salvini doch noch die Kraft, Berlusconi kalt zu stellen und wieder ins Sterne-Bett zu kriechen. Dann dürfte die Rechte zerbrechen.

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Rom
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Schäden am Berg

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Am 3. September explodierte im unterirdischen Testgelände Punggye-ri im Nordosten Nordkoreas eine A-Bombe. Es war die sechste seit 2006 und die vierte seit 2013 unter der Führung des Jungen Marschalls Kim Jong-un.

Kim Jong-uns Wasserschoffbombe?

Erdbeben-Beobachter in Südkorea, China, Japan und rund um die Welt massen eine Erschütterung von 6,2 auf der nach oben offenen Richterskala. Waffenexperten schätzten die nuklear gezündete Kraft auf zwischen 140 und 250 Kilotonnen. Das ist nach den fünf ersten Tests im Bereich von zehn bis zwanzig Kilotonnen eine gewaltige Zunahme, das heisst sie ist zwischen zehn und siebzehnmal so gross wie die von den Amerikanern im August 1945 über Hiroshima abgeworfene Bombe.

Kim Jong-un sprach selbstbewusst von einer Wasserstoffbombe. Nordkorea, so Kim vollmundig, habe mit diesem Test atomare Reife erlangt. Als Atomstaat versteht sich Nordkorea – verfassungsmässig verankert – bereits seit zwei Jahren.

Strukturelle Schäden

Bereits im Oktober 2017 drangen leicht beunruhigende Neuigkeiten an die Öffentlichkeit, ohne aber grosse Schlagzeilen zu erzeugen. Erdbebenwarten registrierten drei Nachbeben. Satellitenbilder zeigten markante Veränderungen am Berg Mantap, in dem das unterirdische Testgelände Punggye-ri liegt.

Japanische, chinesische, südkoreanische und westliche Wissenschaftler stellten nach dem insgesamt sechsten Atomtest am selben Ort am 2’200 Meter hohen Berg deutliche strukturelle Schäden fest.

Warnung aus China

Wie die stets gut informierte Tageszeitung «South China Morning Post» aus Hong Kong berichtet, stellten zwei chinesische Wissenschaftsteams unabhängig voneinander fest, dass es bei der Explosion vom 3. September in einem Testtunnel 700 Meter unter dem Mantap-Gipfel zu schwersten Erschütterungen gekommen sei. Risse und Löcher seien entstanden, dann seien Gesteinsschichten im Innern kollabiert. In China stiegen die Befürchtungen, dass radioaktiver Staub durch ein Leck im Berge entweichen könnte.

Deshalb wird die sino-nordkoreanische Grenzregion seither streng auf radioaktiven Abfall überwacht. Bekannt wurde wenig später, dass nordkoreanische Geologen in China bei Wissenschaftlern Rat suchten. Nordkorea soll von chinesischer Seite darauf ernsthaft gewarnt worden sein.

«Irreparabel beschädigt»

Von der «South China Morning Post» wird Zhao Liangfeng, Wissenschaftler am Institut für Erdkunde der Chinesischen Akademie für Wissenschaften in Peking mit der Einschätzung zitiert, dass die zwei chinesischen Studien über die Vorgänge im Innern des Berges Mantap unter Wissenschaftlern den Konsens unterstützten, dass das unterirdische Testgelände Punggye-ri «irreparabel beschädigt» ist.

Das wiederum erzeugte mannigfaltige Spekulationen darüber, warum Kim Jong-un seit Anfang Jahr eine versöhnliche politische Linie mit Südkorea, den USA und vor allem mit China eingeschlagen hat.

Nur spekulative Antworten

Spielt Pjöngjang auf Zeit? Ist die angekündigte Einstellung des unterirdischen Testgeländes Punggye-ri eine PR-Farce, weil es ja total beschädigt ohnehin hätte eingestellt werden müssen? Hat der Junge Marschall Kimm das Atom- und Raketentest-Moratorium taktisch eingesetzt, um mittelfristig dann ein neues Testgelände errichten zu können? Das kostet viel Geld, und das wiederum kann die marode Wirtschaft des Einsiedlerstaates aus eigener Kraft und wegen der Sanktionen nicht selbst erwirtschaften.

Mit andern Worten: Wohlverhalten – wie schon zuvor bei Versprechungen in den 1990er-Jahren an Amerika und den Gipfeln mit Soeul nach der Jahrhundertwende – gegen Hilfe und Geld aus Südkorea und dem Westen? Fragen über Fragen, auf die auch Nordkorea-Experten nur spekulative Antworten finden werden.

Lang und mühsam

Nur eines ist sicher: selbst wenn die Gipfeltreffen Kims mit den Präsidenten von Südkorea und den Vereinigten Staaten als Erfolg gefeiert werden sollten, ist der Friede auf der koreanischen Halbinsel und eine «vollständige, unumkehrbare und überprüfbare» Denuklearisierung Nordkoreas selbst unter günstigsten Voraussetzungen nur auf einem langen, wohl auch mühsamen diplomatischen Weg zu erreichen.

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Hodler, Blocher, la presse romande…

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Bouleversé par la déchéance physique, le Genevois d’adoption a restitué sans artifices par le crayon et le pinceau les derniers moments de sa maîtresse rongée par la maladie. Le Musée d’art de Pully, qui lui consacre une remarquable exposition jusqu’au 3 juin 2018, n’a pas pu résister à la tentation d’accrocher aux cimaises quelques tableaux à la vocation morbide.

Pourtant l’intérêt de l’événement pulliéran se situe plutôt dans la fabuleuse fresque lacustre qui se dégage des huiles et aquarelles peintes aux quatre coins du Léman. Eblouissants, ces couchers et levers de soleil sur l’eau d’huile, ces arbres tantôt gorgés de sève, tantôt nus, aux bras chétifs tendus vers le ciel. Emouvants, ces cygnes se séchant sur les galets de la baie genevoise sur fond de Salève rose.

Pour revenir à la presse romande, s’il est un point d’accroche avec Hodler, c’est bien Christoph Blocher. Près de la moitié des oeuvres exposées à Pully proviennent de la collection privée de l’homme d’affaires zurichois reconverti dans les médias à force de reprendre des journaux gratuits à tour de bras. Un placement à coup sûr moins rentable que l’art, à l’heure où les tableaux de peintres adoubés par les faiseurs de cote atteignent des prix records, mais un investissement quand même. Dont le retour se mesurera au nombre de voix que son parti politique glânera lors des élections cantonales.

Les acquisitions de M. Blocher, en se concentrant sur les oeuvres d’artistes du terroir, relèvent de l’ethnologie. Peintes par Anker, les scènes de la vie rupestre helvétique tapissent son bureau à Zurich. Avec Hodler au bras noueux, Blocher montre que sa connaissance de la Suisse ne se limite pas à l’Albisgüetli, le stand de tir de l’UDC. Tous les jours que Dieu fait, il se balade dans sa propriété sous tel ou tel paysage lémanique peint par Hodler. La Suisse romande fait déjà partie de son environnement visuel.

Bientôt elle lui sera acquise en partie médiatiquement parlant, si tant est que Blocher parvienne à finaliser son raid sur GHI et Lausanne Cités, deux tout-ménage lémaniques, les plus forts tirages de la région, dont il a racheté 50% du capital au groupe Tamedia. Propriétaire de l’autre moitié, Jean-Marie Fleury invoque un droit de préemption. Il déclare que les jeux ne sont pas faits mais n’exclut pas pour autant la vente à M. Blocher…

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La Méduse
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Der saudi-iranische Streit und die Innenpolitik

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Jedoch seine innenpolitischen Wurzeln auf beiden Seiten zu erkennen, ist wichtig, weil diese Komponente des Streits die Schwierigkeiten aufzeigt, die einer Schlichtung entgegenstehen.

Das Feindbild und seine Mechanismen

Es ist eine weit verbreitete und uralte Technik das Machterwerbs, eigene Gefolgsleute zu motivieren und manchmal zu fanatisieren, indem man ein Feindbild entwirft und ausmalt, um dann die eigene Gefolgschaft gegen diesen Feind anzuführen. Beispiele für diese Machttechnik sind Legion.

Manchmal wird diese Machttechnik aus kalter Berechnung angewandt, aber meistens konzentrieren sich die Machtaspiranten durch Instinkt und Erfahrung auf sie. Sie stellen fest, dass ihre Gefolgschaft an Zahl und mehr oder weniger blindem und fanatischem Glauben dramatisch zunimmt, wenn sie gegen einen möglichst bedrohlich wirkenden „Feind“ angeführt werden kann. Die nach Macht Strebenden sprechen daher gerne und scharf gegen den „Feind“. Ihr Erfolg dabei bestätigt sie in ihrer Technik und allmählich glauben sie selbst an die Realität der von ihnen proklamierten Gefahr und Verruchtheit des Feindes, weil diese Technik ja funktioniert, also richtig sein muss.

Auch in Demokratien funktionsfähig

Um im Nahen Osten zu bleiben: Präsident Sisi kam an die Macht, weil er die ägyptischen Muslimbrüder zu Terroristen erklärte, am 14. und 15. August 2013 das Feuer auf sie eröffnen liess und mindestens 595, wahrscheinlich bedeutend mehr, von ihnen erschiessen liess. Es gab auch gegen 4000 Verwundete. Seither führt Sisi die Ägypter im Kampf gegen die „terroristischen“ Feinde an.

Die Machttechnik funktioniert auch in Staaten, die sich an demokratische Regeln halten: Der  tunesinische Altpolitiker, Beji Caid Essebsi, brachte eine Partei auf die Beine, die er „Nida Tunes“ nannte, indem er die säkular ausgerichteten Tunesier, anfänglich aus dem linken und aus dem rechten Spektrum der Politik, gemeinsam zum Kampf gegen die Islamisten aller Spielarten aufrief und anführte. Er wurde dadurch zum Präsidenten Tunesiens. 

Junger saudischer Machthaber überspielt Konkurrenten

Im Falle von Saudi-Arabien ist der Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) zum zentralen Machthaber geworden. Er erreichte diese Position, indem er zahlreiche bisher an der Macht beteiligte Privilegierte aus dem Königshaus und aus der Geldaristokratie unsanft beiseiteschob und überspielte.

Vor seiner Zeit wurden die wichtigsten Beschlüsse im Königreich kollektiv von den Söhnen des Reichsgründers getroffen, unter Vorsitz des einen von ihnen, der jeweilig als König fungierte. Und die „Senior Prinzen“ hatten die Machtposten unter sich aufgeteilt: Armeechef, Sicherheitschef, Finanzminister, Provinzverwalter, Stadtoberhäupter usw. Diese Senior Prinzen hatten oft ihre Söhne als Untermachthaber in ihrem Machtbereich geschult und verwendet.

Doch nun hat MbS mit Zustimmung seines Vaters, des Königs, diese traditionelle Machtstruktur umgestossen und manche ihrer bisherigen Privilegierten unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung unsanft zur Kasse gebeten. Dies hat er verbunden mit gewaltigen, aber noch kaum in Angriff genommenen Plänen zum Umbau der gesamten wirtschaftlichen und sozialen Struktur des Königreiches.

Unvermeidliche Feinde des neuen Machthabers

Man hört darüber nicht viel, weil es in Saudi Arabien keine Meinungsfreiheit gibt. Es ist aber mit Sicherheit anzunehmen, dass der allmächtige, aktivistische Kronprinz in dem in seiner Grundstimmung höchst konservativen Königreich viele und immer noch mächtige Feinde in Schach halten muss. Ein äusserer Feind, den er verteufeln, gegen den er warnen und seine Anhängerschaft mobilisieren und anführen kann, kommt ihm daher gelegen.

Der Jemen-Krieg, den er ausgelöst hat und auch der Boykott, den sein Land gegen Qatar übt, sind Folgen des Feindbildes, das er von Iran kultiviert und der Führerrolle, die er und sein „sunnitisches“ und „arabisches“ Land gegen den „schiitischen“ und „iranischen“ Erzfeind zu übernehmen bestrebt sind. MbS kann sich davon die Zunahme einer Gefolgschaft versprechen, die er in erster Linie in der jüngeren Generation der saudischen Untertanen sucht.

Das Machtstreben der Revolutionswächter

Auf der Gegenseite in Teheran ist es nicht ein Individuum, sondern eine Gruppierung, welche Machtaufbau betreibt, indem sie die Konfrontation mit dem saudischen Königreich, mit anderen konservativen arabischen Mächten, und dazu mit Israel, sucht. Diese Gruppierung ist jene der Revolutionswächter, deren Oberhäupter nicht nur militärische Macht anstreben, sondern auch wirtschaftliche, politische und international ausgeübte –, indem sie Einfluss auf den Herrschenden Gottesgelehrten Khamenei zu gewinnen suchen.  Auch sie setzen zu diesem Zweck Feindbilder ein.

Sie schildern die konservativen arabischen Königreiche und auch Israel als für Iran und die iranische Revolution gefährliche Knechte des westlichen Imperialismus und aggressive Feinde der schiitischen Revolution in ihrem Land. Sie verfügen sogar über eine Jugendorganisation, die Basiji, die sie in ihrem Sinne indoktrinieren.

Der Hizbullah-Arm in Libanon

Die Wächter wurden 1979 von Ayatollah Khomeiny umittelbar nach seiner Machtübernahme erfunden, um ein Gegengewicht gegen die reguläre iranische Armee zu bilden, deren Offiziere der Sympathien zur abgesetzten Pahlawi-Dynastie verdächtig waren. Sie trugen die Hauptlast das achtjährigen Krieges gegen den Irak (1980-88). Sie entwickelten schon damals einen internationalen Nebenarm, der seit 1982 in Libanon eingriff, um die dortigen Schiiten gegen Israel zu mobilisieren und zu organisieren, deren Land damals von den Israeli besetzt war und es, mindestens teilweise, 18 weitere Jahre lang blieb.

Woraus in Libanon die Hizbullah entstand.  Nachdem der Hauptkrieg, jener gegen den Irak Saddam Husseins, erfolglos zu Ende gegangen war, und in Iran Ali Akbar Rafsanjani Präsident wurde, der um den Wiederaufbau des Landes besorgt war,  nahm der Einfluss der Wächter in der iranischen Politik ab. Sie machten  Hizbullah und seine Förderung gegen den Erzfeind Israel zum ihrem Hauptwerk, das ihnen erlaubte, einigen Einfluss in Iran aufrecht zu erhalten und diesen in späteren Zeiten aggressiver Konfrontation mit den USA weiter auszubauen.

Jede Konfrontation nützt den Revolutionswächtern

Alle Perioden der Konfrontation mit der Aussenwelt nützten dem Aufbau ihrer heute gewaltigen militärischen, politischen und wirtschaftlichen Macht. Sie können in Perioden der Spannung und Konfrontation mit der Aussenwelt als die Verteidiger der iranischen Revolution, des Schiismus, und als die rettende Macht vor dem westlichen Imperialismus auftreten. Ihre Rolle im Staate nimmt gegenwärtig bedeutend zu.

Daher dient ihnen auch die Konfrontation mit Saudi-Arabien. Sie stilisieren sich selbst als die Triebfeder der angeblich rettenden Gegenkräfte und können als solche Anhänger mobilisieren und motivieren. Falls die Atomwaffenproduktion oder die Urananreicherung in dieser oder in jener Form in Iran wieder aufgenommen werden sollten, werden sie deren Betreiber sein. In dieser Hinsicht spielt ihnen Trump in die Hände.

Hochgefährliche Zuspitzung in Syrien

Die Wächter sind auch bestrebt, ihren libanesischen Arm, Hizbullah, zu verstärken. Dazu soll ihnen der Aufbau von Positionen in Syrien dienen. Den Preis dafür haben sie in Blut mit der Hilfe entrichtet, die sie Asad geleistet haben. Da Israel sich gewillt erklärt, den Aufbau iranischer Positionen militärischer Natur in Syrien um jeden Preis zu verhindern, und weil gleichzeitig Russland hinter Asad steht und für seine Machterhaltung Opfer erbracht hat, bahnt sich in diesem Bereich eine weitere schwere Nahostkrise an – sie könnte zu einem grossen internationalen Krieg eskalieren.

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Koreanisches Sprichwort

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원숭이도 나무에서 떨어진다.
(Auch Affen fallen mal vom Baum.)

Verschwindet die deutsche Sprache?

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Anfang der 1980er Jahre veröffentliche Günter Grass ein schmales Buch mit dem Titel «Kopfgeburten – oder die Deutschen sterben aus». Tierisch ernst war der zweite Teil des Titels wohl nicht gemeint. Aber einige besorgte Überlegungen über die stagnierenden Einwohnerzahlen im damaligen Westdeutschland stellte der Schriftsteller schon an. Damals dachte ja noch niemand an eine in absehbarer Zeit mögliche Wiedervereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten – Grass wollte sie ja auch später verhindern.

100 Millionen EU-Bürger mit deutscher Muttersprache

Inzwischen ist Deutschland schon seit mehr als einem Vierteljahrhundert wieder vereint. Die Berliner Republik ist jetzt wirtschaftlich und bevölkerungsmässig klar das stärkste Mitglied in der EU. Österreich und zugewandte Gebiete in Luxemburg und Italien hinzugerechnet, gibt es in der Brüsseler Gemeinschaft gegen hundert Millionen Bürger, die Deutsch als Muttersprache praktizieren. Das sind ungleich mehr als EU-Bürger mit englischer Muttersprache – deren Zahl  ja nach dem sich abzeichnenden Austritt Grossbritanniens dramatisch schrumpfen wird.

Der in Ostberlin aufgewachsene deutsche Schriftsteller Eugen Ruge, der mit seinem 2011 erschienen, vielschichtigen DDR-Familienroman «In Zeiten des abnehmenden Lichts» breiten Erfolg erzielte, sieht die Überlebenschancen der deutschen Sprache trotzdem pessimistisch. In einem langen in der «Zeit» veröffentlichten Text bekennt er, dass er, je länger über die Frage nachdenke, desto überzeugter werde, dass der Gebrauch des Deutschen angesichts der rasenden Globalisierung und der damit eskalierenden Dominanz des Englischen aussterben werde – wenn vielleicht auch erst «in zweihundert bis dreihundert Jahren». 

Versammlung im Prenzlauer Berg

Ruge berichtet als Beleg für seine Untergangsthese vom Erlebnis an einer Wohneigentümerversammlung im Berliner Prenzlauer Berg. Wegen der Anwesenheit einer einzigen Person am Konferenztisch – übrigens eines naturwissenschaftlichen Professors, der seit sechs Jahren an einer deutschen Uni tätig ist, aber nicht deutsch spricht – hätten alle andern Versammlungsteilnehmer auf Englisch umgeschaltet. Englisch werde mittlerweile über die internationalen Konzerne hinaus immer mehr zur Arbeitssprache und als solche auch weitherum akzeptiert. Wenn Deutschland für die in den kommenden Jahren benötigten hochkarätigen ausländischen Fachkräfte attraktiv bleiben wolle, müsse Englisch zwangsläufig auch zur Verwaltungssprache und später vielleicht sogar zur Amtssprache werden.

So richtig vermag Ruges Pessimismus in Sachen Deutsch (der Autor spricht dank seiner russischen Mutter auch perfekt Russisch und ist durch seine Tschechow-Übersetzungen ins Deutsche ausgezeichnet worden) nicht zu überzeugen. Immer wieder konnte man in den letzten Jahren während der Euro-Krise lesen und hören, wie viele junge Italiener, Spanier, Griechen, Polen, auch Franzosen fleissig Deutsch lernen, um in der prosperierenden Bundesrepublik eine anständige Stelle zu finden. Vor zwei Jahren kamen wir in Malaga mit einer spanischen Musikerfamilie in Kontakt. Drei der erwachsenen Kinder spielten in Deutschland in einem städtischen Orchester und hatten gut Deutsch gelernt.

«Cool Germany»

Der britische «Economist» hat unlängst die zahlenmässige Entwicklung der Deutschkenntnisse in Europa als bemerkenswerte Erfolgsgeschichte dargestellt. Er erinnert daran, dass das Deutsche um die Wende zum 20. Jahrhundert vor allem in wissenschaftlichen Kreisen so etwas wie die Lingua franca war.

Doch wegen der beiden Weltkriege und der katastrophalen Rolle Deutschlands dabei und deren Folgen erlitt auch das Prestige und die Anziehungskraft der deutschen Sprache schwere Einbussen. Nach der Überwindung der deutschen Teilung im Zuge eines seit längerem andauernden wirtschaftlichen Aufschwungs nimmt die Zahl der Deutschlernenden in aller Welt wieder deutlichen zu. Der «Economist» nennt eine Wachstumsrate von 4 Prozent zwischen 2010 und 2015. Das sei in historischer Sicht ein starker Anstieg.

Das britische Blatt betont, dass es in erster Linie die aktuelle kulturelle und wirtschaftliche Ausstrahlung ausmacht, die das Erlernen einer Fremdsprache fördert. Nicht zufällig brachte der «Economist» denn auch vor kurzem eine Titelgeschichte unter der eher überraschenden Überschrift «Cool Germany» heraus. Vor gut zehn Jahren war unter Tony Blair noch von «Cool Britannia» die Rede gewesen.

In Zukunft Chinesisch statt Englisch?

Natürlich, das Englische ist immer noch mit Abstand die wichtigste Verkehrssprache in der Welt. 1,5 Milliarden Menschen sprechen oder verstehen zumindest teilweise das englische Idiom. Chinesische «native speakers» gibt es zwar auch fast eine Milliarde, aber insgesamt summiert sich die Zahl Menschen mit chinesischen Sprachkenntnissen nur auf 1,1 Milliarden. Dahinter folgt die Hindi-Sprache (460 Millionen muttersprachig, 650 Millionen mit Hindi-Kenntnissen).

Die Sorgen des Schriftstellers Eugen Ruge, dass das Deutsche verschwinden könnte, scheinen angesichts der erwähnten Vitalisierungssignale reichlich überzogen. Sogenannte Weltsprachen (zu denen neben Spanisch, Französisch, Russisch, Japanisch, gemessen an der Zahl der Sprechenden, an 10. Stelle auch Deutsch gehört), werden wohl noch eine geraume Weile weiter blühen und existieren.

Wahrscheinlich wird sich parallel dazu immer breiter eine Art globale Verkehrssprache etablieren. Heute hat das Englische unbestritten diese Funktion. Aber wird das – angesichts der gerade im Zeichen einer engstirnigen Führung à la Trump fragwürdiger gewordenen kulturellen und wirtschaftlichen Anziehungskraft Amerikas – so bleiben? Könnte eines ferneren Tages das Chinesische zur dominanten Globalsprache werden? Darüber würde ich mir als als deutscher Schriftsteller mindestens so viele besorgte Fragen stellen wie Eugen Ruge über das mögliche Verschwinden des Deutschen.

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Karl Kraus, österreichischer Schriftsteller, geboren heute vor 145 Jahren

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Die Gedankenfreiheit haben wir. Jetzt brauchen wir nur noch die Gedanken.

Publicitas: Vom Leuchtturm zum Irrlicht

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Innert Tagesfrist haben mit Tamedia, Ringier und NZZ drei Grossverlage ihre Geschäftsbeziehung zur Werbevermarkterin Publicitas beendet. Der Grund sind überall Zahlungsausstände von Seiten der „P“. Die aktuelle Entwicklung ist ein weiterer, vermutlich der letzte Schritt in den Abgrund. Wie es so weit kommen konnte mit dem einst stolzen und einflussreichen Akteur auf dem Schweizer Medienmarkt, erklärte Karl Lüönd bereits im Dezember 2016. Aus aktuellem Anlass hat die "Medienwoche" seinen Beitrag aus dem Archiv geholt.

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Sucht-Design

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In den 1950er Jahren führte der Psychologe Burrhus F. Skinner seine berühmt-berüchtigten Taubenexperimente durch. Er konditionierte die Vögel zu einem bestimmten Verhalten: Wenn sie auf ein Plexiglasplättchen pickten, erhielten sie Futter als Belohnung. Der Clou der Experimente war, dass Skinner verschiedene Zeitintervalle zwischen Picken und Belohnung wählte. Wenn also die Taube Futter erhalten hatte, vergingen zum Beispiel 60 Sekunden, bis sie ein nächstes Mal belohnt wurde. Skinner variierte diese Intervalle nach dem Zufallsprinzip, und unter solchen unregelmässigen Bedingungen begannen die Vögel durchzudrehen. Eine Taube pickte während 16 Stunden zwei bis dreimal pro Sekunde auf das Plexiglas.

Das erinnert an Netzbenutzer. Nehmen wir das fiktive Beispiel eines Journalisten namens Paul. Senden und Empfangen von E-Mails sind Kernbestandteil seines Berufs. Sagen wir, er erhält durchschnittlich alle 45 Minuten eine Mail. Manchmal sind die Intervalle grösser, manchmal kleiner; manchmal sind die Mails irrelevant und ärgerlich, manchmal aber bedeuten sie einen „Treffer“. Diese unregelmässigen Belohnungen können nun Paul wie die Skinner-Tauben dazu führen, dass er die Mailbox in immer kürzeren Abständen zu öffnen beginnt – und womöglich zum Mail-Junkie mutiert.

In der Maschinenzone

Das Sucht-Design funktioniert nach diesem Prinzip der variablen nicht vorhersehbaren Belohnung. Die Mensch-Maschine-Interaktion ist wie geschaffen dafür. Dabei ist im Grunde nicht die Belohnung primär, sondern eine ganz besondere lustvolle Trance, in die man aufgrund der Zufallsbelohnung gerät.

Die Anthropologin Natasha Schüll hat in ihrem Buch „Addiction by Design“ (2012) das Verhalten von Menschen an den Spielautomaten in Las Vegas studiert. Sie spricht von der „Maschinenzone“ – damit ist natürlich gemeint „Zwangszone“. In ihr seien Zeit, Raum und soziale Identität im mechanischen Rhythmus eines wiederholten Prozesses aufgehoben. Wir tendieren dazu, dem Spieler die Schuld zuzuschreiben. Natasha Schüll betont dagegen, dass es die besondere Mensch-Maschinen-Interaktion sei, die mit Absicht dazu entworfen wird, den Menschen zu zwanghaftem Verhalten zu konditionieren: „Es erscheint ganz einfach heuchlerisch, etwas zu entwerfen, das die Aufmerksamkeit fängt, um dann die ganze Schuldlast dem Individuum aufzuhalsen.“

Konzipiert für Missbrauch

Sucht-Designer verteidigen sich häufig mit dem Argument, dass sie dem Konsumenten ja nur das verkaufen würden, was er eh schon wolle. Die alte Leier. Es geht ja gerade um das Wollen. Im Grunde produziert die moderne Elektronikindustrie ein Wollen, also primär nicht Geräte, sondern Bedürfnisse. In die technischen Produkte sind Bedürfnisse und Verhaltensweisen absichtlich implementiert.

„Verhaltensdesign“ spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle wie Hardware und Software: Psychoware sozusagen. Persuasive Technologie nennt sich die entsprechende Disziplin. Der einflussreiche behavioristische Oberzauberer B. J. Fogg in Stanford hat dafür die Bezeichnung „Captology“ geprägt (ein Akronym für „Computer as Persuasive Technology“), in der natürlich das „capture“ – das „Einfangen“ – durchaus mitschwingt.

Jony Ive, Chefdesigner des iPhones, gab in einem Inteview auf die Frage „Was ist Missbrauch eines iPhones“ die erstaunliche Antwort: „andauernder Gebrauch“. Das hört sich an wie ein zynischer Kommentar zur Werbung für das neue iPhone X: „Es war immer unsere Vision, ein iPhone zu schaffen, das nur Bildschirm ist. Ein Gerät, so immersiv, dass es in der Erfahrung verschwindet. So intelligent, dass es auf eine Berührung, deine Stimme, sogar auf einen Streifblick antwortet. Mit dem iPhone X ist diese Vision Wirklichkeit geworden.“ Ein Gerät, das in unsere Erfahrung einsinkt, ist definitionsgemäss konzipiert für andauernden Gebrauch, also für Missbrauch. Ergo ist der Missbrauch Wirklichkeit, die Sucht alltäglich geworden.

Verdeckte Manipulationen

Verhaltensforschung zielt eigentlich immer ab auf Verhaltensänderung. Wie es ein ehemaliger Mitarbeiter der Forschungsabteilung von Facebook – der Data Science Unit – im Klartext sagte: „Wir sind immer daran, das Verhalten der Leute zu ändern.“  Und das zentrale Anliegen ist die Kundenkonditionierung. Für die Verhaltensdesigner etwa bei Facebook ist der Nutzer die Labortaube oder -ratte.

Die früheren Marketingstrategien waren – wenn auch durchaus raffiniert – noch ziemlich durchsichtig. Im Unterschied dazu sind die Manipulationen im Netz weniger offensichtlich. Genauer gesehen, sind es zwei Merkmale, die den Operationen mit Daten einen neuartigen „verdeckten“ Charakter verleihen:  der ungeheure Umfang der Daten, und die automatisch ablaufenden Sammel-, Speicher- und Organisationsvorgänge.

Und hier verlieren auch die Algorithmen ihre Unschuld. In dem Masse, in dem die Internetunternehmen eine beinahe kontinuierliche Kontrollmacht über die gigantischen Ströme an persönlichen Daten ausüben und sie auch „optimieren“ können, in dem Masse sehen wir uns ausserstande, die manipulativen Aktivitäten zu entdecken, geschweige denn einzuschätzen.

Totale Konditionierung

Wir leben heute in einer Art von Symbiose mit Geräten, die sich nicht aufkündigen lässt. Wir sind quasi Techno-Kentauren, biologische Wesen, verwachsen mit Artefakten. Immer mehr auch verhaltensmässig, psychisch, intellektuell. In dieser Symbiose droht das Gerät parasitär zu werden. Unsere Gewohnheiten werden tief geprägt vom Umgang mit smarten Objekten, wir denken und handeln wie Computer, unser Alltag ist getaktet nach den Rhythmen all der Apps.

Die Konditionierung ist potenziell total. Anvisiert wird die Abrichtung des Menschen zum willfährigen User, zum allzeit zerstreuten, süchtigen Snapchat-, Netflix- oder LinkedIn-Konsumenten, der wie die durchgedrehten Skinnertauben besinnngslos klickt und scrollt. Man schaue sich im Alltag um. Wir sind unterwegs zur allumfassenden Skinnerbox.

Und der Ausweg? Nietzsches Zarathustra hat einen gesehen: „Jeder will das Gleiche, jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus.“

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